FREIWILLIG IM STAU

Ein goldener Samstag im Oktober. Die Sonne gibt noch einmal alles und schafft sogar einen neuen Wärmerekord für diese Jahreszeit. Ideales Herbstferien- und Ausflugswetter.

Wir sind mit dem Velo unterwegs, von Strassburg Richtung Süden. Der Weg führt durch die Rheinebene, vorbei an Obstplantagen mit reich beladenen Apfelbäumen und abgeernteten Maisfeldern. Fast wähnt man sich allein auf der Welt, so still ist es in dieser weiten Landschaft…

Dann der Wegweiser nach Rust. – Das Dorf an der deutsch-französischen Grenze, dessen Name hierzulande jedes Kind kennt. Nicht nur vom Hörensagen, wie sich bald zeigt: Als wir ins Dorfzentrum einbiegen, ist es vorbei, mit der beschaulichen Ruhe. Es ist kurz vor Elf und der Teufel los: Alles scheint auf den Beinen zu sein – unterwegs, in den Europapark. Das Stimmengewirr der FussgängerInnen wird laufend vom Motorengeräusch der herumkurvenden Autos übertönt. Ein FlixBus zwängt sich durch die Dorfstrasse zur Haltestelle «Rust (Europa-Park)». Die Luft riecht nach Abgasen.

Wir kämpfen uns durchs Gewühl. Tausende von Menschen drängen zum Eingang des Parks. Sie haben das erste Stauerlebnis des heutigen Ausflugs bereits absolviert und ihr Fahrzeug, mit dem sie angereist sind, auf einem riesigen Parkplatz deponiert. Nun sind sie zu Fuss unterwegs, voller Ungeduld und Vorfreude auf die weiteren Abenteuer im «Freizeitpark und Erlebnis Resort». Gross und Klein, Jung und Alt – eine Mutter stillt im Gehen ihr Kind.

Der Menschenstrom Richtung Park reisst nicht ab. Von drinnen zerreisst regelmässiges Kreischen die Luft, wenn die vollbesetzte Achterbahn steil in die Tiefe saust. In der Anlage wimmelt es bereits von BesucherInnen, die vor den beliebtesten Bahnen wieder im Stau stehen – diesmal auf den eigenen Beinen – und über die Kreisstrasse kommen immer noch mehr. 

Eine Parade jeglicher Automarken und ‑modelle wälzt sich an uns vorbei. Die effizient arbeitenden Parkhelfer haben alle Hände voll zu tun, um die Neuankömmlinge einzuweisen. Trotzdem kommt es immer wieder zu langen Rückstaus auf der Landstrasse.

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Schätzungsweise ein Drittel aller Autos, die in der halben Stunde unserer Beobachtungen auf den Parkplatz drängen, haben Schweizer Nummernschilder. Praktisch alle Kantone sind vertreten – von Graubünden über Schwyz bis Solothurn und Jura. Besonders zahlreich jene aus der Waadt, dem Kanton Bern und dem Wallis. Sie alle sind an diesem herrlichen Samstagmorgen losgefahren, um sich freiwillig den Menschenmassen und Staus um und im Europapark hinzugeben.

2017 zählte der Freizeitpark in Rust über 5,6 Millionen BesucherInnen – pro Tag ergibt dies im Durchschnitt 21’000. Wobei es zu Spitzenzeiten wie diesem Oktobersamstag wesentlich mehr sein dürften. Die überwiegende Mehrheit kommt mit dem eigenen Fahrzeug, was regelmässig nicht nur bei der Zufahrt zu den Parkplätzen, sondern auch auf der Autobahnanschlussstelle Ringsheim-Rust zu Rückstaus führt.

«Kilometerlange Staus auf der Autobahn, insbesondere aus Richtung Süden am Vormittag, sind inzwischen ein alltägliches Bild, das sich auf der Kreisstrasse zuweilen bis zum Grossparkplatz des Europa-Parks fortsetzt» schreibt die Lokalzeitung. Dies trotz wiederholten Kapazitätserweiterungen in den letzten Jahren. In den kommenden Monaten soll nun für 7 Millionen Euro eine neue, breitere Brücke an der Anschlussstelle Ringsheim-Rust zur Bekämpfung der Freizeitstaus gebaut werden.

Freie Fahrt für eine freie Entfaltung der Freizeitindustrie – ein Argument, das auch die Westast-BefürworterInnen immer schnell zur Hand haben. Obschon man heute weiss: Der Ausbau von Strassenkapazitäten hilft weder gegen die sonntäglichen Schönwetterstaus am Bielersee noch ermöglichen sie eine staufreie Fahrt in den Europapark: Wo alle zur gleichen Zeit das Gleiche wollen, gibt es Stau. Ob am Bratwurststand, auf dem Weg in den Süden oder am Skilift – überall gilt das Gleiche wie in Rust: Stau ist Teil des Ganzen – und gehört dazu.

Der Bau neuer Strassen ist aber nicht nur nutzlos, sondern auch unnachhaltig und unhaltbar – insbesondere in Zeiten des Klimawandels. Die Rekordtemperatur an diesem wunderbaren Oktobersamstag wäre ja eigentlich auch ein Wink mit dem Zaunpfahl, dass es höchste Zeit ist, mit der CO2-Reduktion Ernst zu machen. Umso mehr, als es wunderbare Alternativen gibt: Wer ganz und gar auf das Stehen im Stau verzichten möchte, dem sei eine Velotour – dem Rhein entlang oder im Seeland – wärmstens empfohlen.

DER WESTAST VON STRASBOURG

Der Radweg von Soultz-les-Bains nach Strasbourg entlang dem Canal de la Bruche führt durch eine einmalige, romantische Gegend. Die Ufer der einstigen Wasserstrasse sind gesäumt von Schilf und Trauerweiden, in den Gärten der ehemaligen Schleusenwärter-Häuschen blüht es auch im Herbst noch in üppigen Farben.

Die idyllische Landschaft ist geprägt von Wald, Feldern und schönen alten Dörfern. Man wähnte sich in einer anderen, heilen Welt – wären da nicht die Plakate am Wegrand, die uns in regelmässigen Abständen Denkstoff liefern. «La terre ne se vende pas – elle se travaille et elle se défend» steht da etwa. Und immer wieder: «NON au GCO».

GCO steht für Grand Contournement Ouest – gemeint ist die geplante Autobahn-Westumfahrung von Strasbourg. Sozusagen ein Westast à la française. In der Tat weist das Projekt zahlreiche Parallelen zum Bieler Westast-Projekt auf: Auch die GCO-Planung ist fast 40 Jahre alt. Mit der geplanten Westumfahrung sollen die regelmässigen Staus um Strasbourg vermindert werden. Allerdings würde die neue Autobahn, laut offiziellen Angaben, gerade mal eine Verkehrsreduktion von 5% auf den bestehenden Achsen bewirken.

Zu wenig, finden die GegnerInnen der geplanten 24 Kilometer langen, vierspurigen Autobahn. Sie haben sich im Kollektiv GCO NON MERCI zusammengeschlossen. Mit von der Partie sind auch zahlreiche Behördenmitglieder und BürgermeisterInnen der betroffenen Gemeinden im Westen von Strasbourg.

Fakt ist: Bereits 2006 hatten sich in einer Umfrage über 80 Prozent der Bevölkerung gegen die geplante Westumfahrung ausgesprochen. Seither sind es nicht weniger geworden. Zudem erhielt das Autobahnprojekt auch von Seiten staatlich mandatierter Experten schlechte Noten. Trotzdem gab der Präfekt im Sommer grünes Licht für den Beginn der Bauarbeiten, denen rund 200 Hektar Ackerland geopfert werden sollen.

Besonders betroffen von der zerstörerischen Wirkung des Mammutprojekts ist die Gemeinde Kolbsheim, rund 10 Kilometer westlich von Strasbourg. Dort würde ein Viadukt direkt über den Park des denkmalgeschützten Schlosses führen, ein Stück Wald soll abgeholzt und die alte Mühle abgebrochen werden. Seit Jahren kämpft die Gemeinde gegen diese Bedrohung – an vorderster Front deren Bürgermeister Dany Karcher.

Er war auch vor Ort, als die Polizei Mitte September die im Sommer 2017 errichtete ZAD (Zone à Défendre) gewaltsam und mit Einsatz von Tränengas räumte. Im Anschluss an den Polizeieinsatz demonstrierten im 800-Seelendorf Kolbsheim am 18. September über 2000 Menschen gegen die Fortsetzung der Bauarbeiten. Mit vorläufigem Erfolg: Das Verwaltungsgericht stoppte die Bauarbeiten – provisorisch. Ob der lange Kampf gegen die sinnlose Strassburger-Westumfahrung langfristig gewonnen werden kann, ist allerdings offen.

Fakt ist: In der Innenstadt von Strasbourg hat man den Autoverkehr erfolgreich reduziert. Dies unter anderem mit Lenkungsmassnahmen, die den Fuss- und Veloverkehr fördern. So werden unter anderem Geschäfte und Restaurants in der Innenstadt mit Velotransportern beliefert. Lastwagen müssen draussen bleiben.

Der nächste Schritt ist nun, dieses fortschrittliche Konzept weiter zu denken und auch auf neue, klima- und umweltverträgliche Wege für den Pendler- und Fernverkehr hinzuwirken. Genau das haben anlässlich von «Klima-Demos» BürgerInnen in Strasbourg und Mulhouse gefordert. Mit konkreten Vorschlägen. Dazu gehört auch die definitive Einstellung der Bauarbeiten für die GCO – die Strasbourger Westumfahrung.

VERKERHSPOLITIK: ABSCHIED VOM WACHSTUMSDOGMA

«Sind wir heute immer noch mit den gleichen Zukunftsvorstellungen wie vor 50 Jahren unterwegs?» Diese Frage, gestellt von der Mobilitätsforscherin Merja Hoppe, würde wohl niemand mit Ja beantworten. Trotzdem bestimmen in der heutigen Verkehrspolitik Modelle die Entscheidungen für künftige Entwicklungen, die schon in den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts Anwendung fanden. Ein Fakt, der an der von der Energiestiftung Schweiz SES organisierten Fachtagung zum Thema «Mobilität der Zukunft» von allen ReferentInnen scharf kritisiert wurde.

«Die Verkehrspolitik funktioniert immer noch im Hardwaremodus», konstatierte etwa Daniel Müller-Jentsch von Avenir Suisse. Das heisst: In der Schweiz setzt man aktuell nach wie vor auf den Ausbau von Verkehrsinfrastruktur, statt nach ganzheitlichen und zeitgemässen Lösungen zu suchen. Als Beispiele nannte der Vertreter des bürgerlichen Think Tanks den Bau des 2,3 Milliarden teuren Autobahnteilstücks der A9 im Wallis oder die vom Astra-Direktor ins Spiel gebrachte Aufstockung der Limmattal-Autobahn. Dieser subventionierte Kapazitätsausbau hätten zur Folge, dass die  Verkehrsangebote für den motorisierten Privatverkehr, aber auch beim öffentlichen Verkehr zu billig seien, was zu Fehlentwicklungen führe, führte Müller-Jentsch weiter aus. Dazu gehören, nebst dem von der Allgemeinheit finanzierten und auf Spitzenzeiten ausgerichteten teuren Überangebot auf Strasse und Schiene, auch der Trend zu stets grösseren und schwereren Fahrzeugen oder die wachsenden PendlerInnenströme. Um diese zu stoppen, brauche es dringend «Kostenwahrheit beim Verkehr», forderte Müller-Jentsch.

Quelle: Avenir Suisse

In eine ähnliche Richtung zielte Stéphanie Peher, Bereichsleiterin Verkehr und Kommunikation beim VCS: «Verkehr frisst Raum, Zeit und Energie. Diese externen Kosten werden aber grösstenteils ausgeblendet – das Verursacherprinzip ist beim Verkehr nicht vollständig umgesetzt», konstatierte sie. Die Folge sei ein immenser Verschleiss von Landschaft und Energie: Die tiefen Transportkosten hätten zu einer schweizweiten Zersiedlung geführt, der Zeitgewinn durch schnellere Strassen- und Bahnverbindungen werde heute für längere Distanzen genutzt – und damit wieder zunichte gemacht.

In der Tat: Untersuchungen zeigen, dass wir pro Tag im Durchschnitt 70 bis 80 Minuten unterwegs sind.  Diese Grösse ist seit Jahrzehnten konstant – was sich verändert hat, sind einzig die Distanzen, die in dieser Zeit zurückgelegt werden. Mit anderen Worten: Die Beschleunigung des Verkehrs hat unsere Mobilität nicht vergrössert, sondern bloss deren Radius verändert. Das wiederum wirkt sich auf den Energieverbrauch aus: Mit einem Anteil von 36% ist der Sektor Verkehr und Transport der grösste Energiefresser hierzulande, gefolgt von den Privathaushalten (28%), der Industrie (19%) und dem Dienstleistungssektor.

Aktuell verursacht der Verkehr in der Schweiz ein Drittel der CO2-Emissionen. Mit Abstand am meisten Treibstoff braucht der motorisierte Personenverkehr auf der Strasse, der für 70% des Energieverbrauchs beim Verkehr verantwortlich ist.

Quelle: VCS 

Diese Zahlen zeigen: Für die Energiewende, zu der sich die Schweiz mit der Unterzeichnung des Pariser Abkommens verpflichtet hat, brauchen wir grundlegend neue Ansätze in der Verkehrspolitik. Nach wie vor prognostiziert der Bund weiteres Wachstum beim Verkehr.

Doch Wachstum und Verkehrsentwicklungen sind nicht gottgegeben – darauf wurde an der Fachtagung mehrfach hingewiesen. Heute sei man an einem Punkt angelangt, wo weiteres Wachstum grundsätzlich in Frage gestellt werden müsse, stellten verschiedene ReferentInnen klar. Angesichts der angestrebten Energiewende liege eine Fortsetzung der Verkehrspolitik, wie sie in den letzten 50 Jahren umgesetzt wurde, schlicht nicht mehr drin. «Die Mobilität der Zukunft muss ihren Fussabdruck deutlich senken», fasste Stéphanie Peher zusammen. Und Merja Hoppe, Leiterin Institut für Nachhaltige Entwicklung an der ZHAW in Winterthur doppelte nach: «Wir müssen uns die Frage stellen, wieviel Mobilität wir wollen, und wieviel wir uns leisten können. – Zukunft geschieht nicht einfach, Zukunft wird von uns geschaffen.»

Die gute Nachricht: Es gibt zahlreiche Auswege aus der aktuellen Sackgasse – die Einsichten und Grundlagen sind da. Wo es aktuell noch hapert, ist allerdings bei der Umsetzung.

App-gesteuerte Mobilität

Das könnte sich bald ändern, stellte Marta Kwiatkowski vom Gottfried Duttweiler Institut GDI in Aussicht: In der Schweiz, wo heute 78% der Bevölkerung über ein Smartphone verfügen, sei das Verkehrs- und Konsumverhalten der Bevölkerung längst im Umbruch. Der App-gesteuerte Alltag sei für viele bereits Realität: Wer mit dem ÖV unterwegs ist, kann schon jetzt seine Reise ad-hoc planen und buchen. Wer den Google-Routenplaner nutzt, wird bereits heute durch eine «personalisierte Öffentlichkeit» gelotst, der Schrittzähler auf dem Smartphone macht dessen Träger zum codierten Teil des «Internets of Everything».

«Gegenwärtig wird der Raum neu verhandelt», fasste Marta Kwiatkowski zusammen. Allerdings würden im Moment lokale Planer und Player von globalen Konzernen wie Google oder Apple überrundet. Diese verknüpfen die Daten, die sie zu den Gewohnheiten ihrer User sammeln mit deren Mobilitätsverhalten, um so deren Konsumverhalten möglichst optimal zu bedienen. Was durchaus auch im Sinne der Nutzer sei, da so auf die Nachfrage zugeschnittene Angebote geschaffen würden, sagt Kwiatkowski und fasst zusammen: «Das Gebot der Stunde heisst Vernetzung: Das 20. Jahrhundert war das Zeitalter der Auto-Mobilität – das 21. Jahrhundert gehört der vernetzten Mobilität.»

Quelle: GDI

Ein Beispiel dafür präsentierte Sven Kohoutek, Leiter Smart Mobility bei der Schweizer Post. Im Bestreben, immer mehr Menschen zum Umsteigen vom Privatauto auf den öffentlichen oder kombinierten Verkehr zu bewegen, arbeitet man dort aktuell an einer neuen Plattform namens Kollibri. Damit sollen künftig auf die Bedürfnisse jedes Einzelnen zugeschnittene Angebote einfach buchbar sein. Partner dieser Plattform sind etwa private Taxiunternehmen, die SBB und andere öffentliche Verkehrsträger sowie Car- und Bikesharingdienste. Solche Angebote sollen namentlich auch in peripheren Gebieten helfen, das Umsteigen vom PW auf ein integriertes Transportangebot zu fördern, indem lokale Shuttledienste oder Taxiunternehmen die Feinverteilung vor Ort «on demand» anbieten.

Die soziale Akzeptanz für technische Innovation in der Mobilität sei momentan hoch – eine seltene Situation, die man unbedingt nutzen sollte, forderte Marta Kwiatkowski: «Die Leute wollen in Reisen denken, nicht in Fahrplänen. Statt weiterhin auf doppelstöckige Autobahnen und den Ausbau der Hardware zu setzen, ist jetzt der Moment, auf Software-Lösungen setzen.»

Problem an der Wurzel angehen

Mit den neuen technischen Möglichkeiten allein löst man allerdings noch keine Verkehrsprobleme. Um den Teufelskreis von Kapazitätsausbau, Stau und Verkehrszunahmen zu durchbrechen, braucht es ein neues Verständnis von Mobilität, ein Umdenken und vor allem Lenkungsmassnahmen. Aktuell betreibe man ein Flickwerk am Bestehenden, kritisierte etwa der Solothurner Nationalrat Stefan Müller-Altermatt (CVP). Seine Forderung: Statt mit dem Bau von neuen Strassenkapazitäten oder Zufahrten laufend zu versuchen, dem Leidensdruck nachzugeben und Staus zu verhindern, sollte man das Problem an der Wurzel packen und in der Verkehrspolitik nachhaltige Lösungen ermöglichen. Das heisst zum Beispiel, dem motorisierten Verkehr bewusst Grenzen setzen, und gleichzeitig den Fuss- und Veloverkehr in der Verkehrsplanung gleichwertig mit den übrigen Verkehrsträgern berücksichtigen.

Wie eine nachhaltige, nachfragesteuernde Verkehrspolitik aussehen könnte, skizzierte der renommierte Verkehrsforscher Hermann Knoflacher von der TU Wien anhand eines Beispiels: «Wir alle sind uns einig: Das Auto muss raus aus der Stadt. Das ist richtig. Aber Verkehrsprobleme entstehen immer an den Ausgangspunkten und müssen dort verhindert werden.» Eine Massnahme wäre zum Beispiel, künftig in unmittelbarer Nähe von Wohnungen keine Parkplätze mehr zur Verfügung zu stellen. «Wenn ich nicht direkt von der Wohnung ins Auto wechseln kann, wird der Weg zur Bushaltestelle oder zum Bahnhof attraktiver. Denn der Mensch ist intelligent und faul», begründete Knoflacher diese simple Lenkungsmassnahme.

In der Vergangenheit habe man sämtliche Planungen der Förderung des motorisierten Verkehrs unterworfen, kritisierte Knoflacher. Das Automobil habe sich in unseren Gehirnen eingenistet, was zu absurden Anpassungen unserer gesamten Infrastruktur, ja unseres Wertesystems geführt habe. Die Verkürzung von Distanzen durch den motorisierten Verkehr wirke sich negativ auf die Lebensqualität aus, führte Marcel Hänggi diesen Gedanken weiter. Anhand von verschiedenen Bildern aus der Werbung zeigte er auf: «Sogar Autofahrer stellen sich – abgesehen vom eigenen Auto – die ideale Welt autofrei vor.»

Der öffentliche Raum sei heute infolge des schnellen motorisierten Verkehrs übernutzt. Hänggi plädierte deshalb für Nutzungsbeschränkungen in Form von Geschwindigkeitsbegrenzungen, um Strassen und Plätze für nachhaltigere Formen der Mobilität wieder attraktiv zu machen: «Es braucht Verkehrsformen, die grosse Mobilität mit geringem Aufwand ermöglichen. Begegnungszonen, öffentliche Räume mit Aufenthaltsqualität für Fussgänger und Radfahrer.» Wie diese aussehen könnten, zeigte Denise Belloli, Geschäftsleiterin der Metron Verkehrsplanung AG anhand konkreter Beispiele. So hat man etwa in Köniz mehr Platz für FussgängerInnen geschaffen und damit auch den motorisierten Verkehr verflüssigt. Die Verbesserung der Mobilität durch Entschleunigung habe grosses Potenzial, führte sie aus. Was es dazu braucht, sind neue Ansätze, gemeinsames Planen und die Überwindung von Gärtchen-Denken.

Auf den Punkt gebracht: Der heutige Verkehr frisst zuviele Ressourcen – das ist nicht nachhaltig und muss gestoppt werden. Die Mobilität der Zukunft verspricht bessere Lebensqualität dank anderem Verkehrsverhalten. Voraussetzung dafür ist aber, dass es in den Köpfen der automobilsüchtigen Gesellschaft endlich zu tagen beginnt und man begreift, dass eine weiterhin auf Wachstum ausgerichtete Verkehrspolitik nur zweierlei bringt: Immer mehr Stillstand und Stress statt Mobilität, und immer mehr Verschleuderung von Steuergeldern für den Bau und Unterhalt von teurer Verkehrsinfrastruktur, die 20 Stunden am Tag nicht ausgelastet ist.

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