BUEBETRICKLINICHT MIT UNS!

Das aktuelle Westast-Ausführungsprojekt wird – mit Ausnahme des Porttunnels – nicht weiterverfolgt. Dies ist nach dem fast zweijährigen «Dialogprozess» ein Kernstück der Empfehlungen zur Westast-Planung. Ansonsten enthalten die umfangreichen Papiere – soviel sei schon verraten – viel Ungereimtes und Schwammiges.

Trotzdem: So wie es aussieht, sind die innerstädtischen Autobahnanschlüsse vom Tisch. Zumindest einer: Bienne-Centre beim Bahnhof dürfte definitiv nie gebaut werden. Dies, weil der Bieler Stadtpräsident und die Wirtschaftslobby erkannt haben, dass die für den Autobahnbau reservierten Parzellen in Bahnhofsnähe eigentliche «Filetstücke» für die Stadtentwicklung darstellen – und gewinnbringender genutzt werden können als mit einem Asphaltbauwerk für den motorisierten Verkehr.

Anders sieht die Situation leider in der Seevorstadt aus: Dort lässt der Entwurf – zumindest in der Form, wie er am 5. November der Dialoggruppe praktisch definitiv vorgelegt worden ist – Spielraum für einen Autobahnanschluss. Und genau darauf wollen die Westastbefürworter beharren.

So zittert man in der Seevorstadt weiter, während die Menschen im Mühlefeld und an der Gurnigelstrasse aufatmen können. Die Gefahr, dass sie dereinst durch eine breite Autobahnschneise vom Bieler Bahnhof und der Innenstadt abgeschnitten werden, scheint gebannt. Die wegen des Westasts zum Abbruch verdammten Liegenschaften bleiben erhalten und können endlich renoviert werden.

Der Anschluss Bienne Centre mit der Autobahnschneise unter offenem Himmel hätte das idyllische Quartier verschandelt und verlärmt. Diese Gefahr scheint nun gebannt. Damit haben jene, die seit Jahren für ihre Liegenschaften und das Mühlefeld- und Gurnigelquartier kämpften, ihr Ziel erreicht.

So können sich etwa die Mitglieder des Vereins «Lebensqualität im Quartier» über den Erfolg freuen. In den 13 Jahren seit der Gründung des Vereins, kämpften sie unermüdlich und mit grossem Engagement gegen das Autobahnmonster in ihrem Quartier. Schlaflose Nächte, endloses Aktenstudium, Sitzungen, Diskussionen, Debatten – alles in der Freizeit. Und immer wieder Häme, Verunglimpfungen, Entmutigungen.

Der Widerstand und das Durchhaltevermögen haben sich gelohnt, jetzt wähnt man sich am Ziel: Das Eigenheim ist gerettet, die Idylle rund ums Haus bleibt erhalten. Dankbar und zufrieden greifen die müden Kämpfer nach dem vermeintlichen Kompromiss und ziehen sich hinter ihre Gartenhecken zurück.

Auch wir haben aufgeatmet: Das Ende von Bienne Centre bedeutet, dass unser Elternhaus eine menschenfreundliche Oase mitten in der Stadt bleibt, die den beiden Familien, die es heute bewohnen, auch in Zukunft eine hohe Lebensqualität für Gross und Klein bietet.

Doch reicht das? Denn noch hängt ein scharfes Damoklesschwert in der Bieler Luft, dessen Faden im Bundeshaus zu Bern endet. Mit keinem Wort erwähnt der nun vielgerühmte «historische Dialogkompromiss» nämlich, dass mit dem gebodigte Ausführungsprojekt endlich auch in Biel das Ende der Autobahnära eingeläutet würde.

Tatsachte ist, dass nach wie vor ein vom Bundesrat genehmigtes und weiterhin gültiges Generellen Projekt existiert, das eine Autobahn zwischen Brüggmoos und Rusel vorsieht.

Weshalb fehlt im Schlussdokument die Empfehlung, dass dieses Generelle Projekt vom Bundesrat aufzuheben sei? Stattdessen wurde der verhängnisvolle Satz mit der Forderung eingefügt, die «Lücke im Nationalstrassennetz soll geschlossen werden.»

Quelle: SRF

In Biel und Bern ist der Eishockey-Begriff «Buebetrickli» wohlbekannt: Man stürmt aufs gegnerische Tor los, und statt direkt zu schiessen, kurvt der Angreifer ums Tor herum und schlenzt den Puck von hinten, zwischen Pfosten und dem zu früh aufatmenden Torhüter, ins Netz. 

Die IG Häb Sorg hat jahrelang das Verteidigen gegen Buebetrickli trainiert. –  Deshalb gibt es für Autobahn-Buebetrickli jeglicher Art auch weiterhin kein Durchkommen. Wir bleiben dran.

JAHRESRÜCKBLICK 2020

Ein vergleichsweise stilles Jahr geht zu Ende, in Sachen Westast. Wir erinnern uns, dass im November 2018 noch Tausende auf die Strasse gingen, um gegen das Monsterprojekt zu demonstrieren. Mit (vorläufigem) Erfolg: Statt den Autobahnbau mit Gewalt an der Bevölkerung vorbei durchzupauken, hat der damalige Berner Regierungspräsident und Baudirektor Christoph Neuhaus einen Dialogprozess verordnet.

Mit dem Start des Runden Tischs im Februar 2019 verlagerte sich die Auseinandersetzung um den Autobahnbau in der Region Biel: Hatte in den Monaten zuvor eine breite, von der Bevölkerung der Region mitgestaltete und getragene Bewegung den Diskurs massgeblich beeinflusst, wurde der «Dialog» nun wieder delegiert: An den Gesprächen beteiligt waren und sind rund 60 VertreterInnen von Organisationen und Behörden.

Als Leiter des «Dialogprozesses» verpflichtete der Kanton den pensionierten ehemaligen UVEK-Generalsekretär Hans Werder. Ihm steuernd zur Seite stehen der ebenfalls pensionierte ehemalige Kreisingenieur Fritz Kobi sowie der Städtebauexperte Han van de Wetering. Ihre Inputs prägten den Verlauf der Diskussionen massgeblich. Basierend auf zwei Kurzberichten der Experten diskutierten die Mitglieder der Kerngruppe – je vier VertreterInnen der BefürworterInnen des Ausführungsprojekts und der GegnerInnen sowie Behördenmitglieder von Biel und Nidau – in den letzten Wochen insbesondere über kurz und mittelfristige Massnahmen, um die städtebauliche und verkehrliche Situation in Biel und Nidau zu verbessern.

So soll es auch im kommenden Jahr weiter gehen. Die im November 2019 von der Behördendelegation geforderte Beschränkung des Betrachtungsperimeters auf die Strecke des geplanten Westasts wurde dabei stillschweigend in den Wind geschlagen. So erklärte etwa der Bieler Stadtpräsident Erich Fehr – seines Zeichens sowohl Mitglied der Behördendelegation wie der Kerngruppe – Ende Dezember 2019 gegenüber dem Bieler Tagblatt: «Eine Empfehlung des Dialogprozesses könnte letztlich zum Beispiel sein, die Variante Seelandtangente genauer anzuschauen.»

Ein vielsagendes Statement, das hoffnungsvoll stimmt. Genauso, wie die in der Kerngruppe andiskutierte Wiederbelebung des seit Jahren schubladisierten Projekts für ein Regiotram, die konkreten Vorschläge für eine attraktivere Gestaltung der Bahn- und Busverbindungen in der Region sowie des Fuss- und Veloverkehrs, Überlegungen zu Transitverboten für den Schwerverkehr…

Ein Fortschritt, wenn nicht gar ein Durchbruch, dass endlich nicht mehr nur über Autobahn-Varianten gesprochen und gestritten wird, sondern über Lösungsansätze und ‑möglichkeiten für real existierende Probleme und Herausforderungen. Wird dieser Ansatz konsequent und ernsthaft weiterverfolgt, dürfte die Varianten-Diskussion bald vom Tisch sein: Mit klugen, innovativen Alternativmassnahmen, die schneller und gezielter greifen als das geplante Ausführungsprojekt, wird dieses definitiv überflüssig. Weil klar wird: Ein Verzicht auf den Westastbau heisst nicht, auf Verbesserungen verzichten. Im Gegenteil: Der Entscheid gegen den Westast eröffnet Möglichkeiten und löst Blockaden, unter denen die Region schon seit Jahren leidet.

So könnte der Jahresrückblick Ende 2020 davon erzählen, dass die Bauarbeiten auf der Brache am Gurnigelkreisel in Bälde wieder aufgenommen werden. Auch im Wydenauquartier wird neu geplant, und die schönen Liegenschaften im Gurnigelquartier können endlich saniert werden, weil der Enteignungsbann aufgehoben wurde. Die Hauptstrasse in Nidau, wo Tempo 30 eingeführt wurde, soll vom Schwerverkehr befreit werden. Dafür können Reisende vom rechten Bielerseeufer wie aus dem Bözingenfeld in wenigen Jahren schon mit dem Regiotram bequem ins idyllische Nidauer Zentrum reisen.

Am linken Bielerseeufer atmet die Bevölkerung auf: Ein Transitverbot für den Schwerverkehr erlaubt den partiellen Rückbau der N5 – ohne, dass weitere Strassentunnels mit problematischen Tunnelportalen gebaut werden müssen. Stattdessen sollen Fuss- und Velowege in dieser auch touristisch attraktiven Region mehr Platz erhalten und aufgewertet werden.

Mit dem Bau von Park und Ride-Möglichkeiten in den Zentren der Agglomeration wird PendlerInnen das Umsteigen auf öffentliche Verkehrsmittel oder das Fahrrad leicht gemacht: Auf den kurzen Strecken im Stadtgebiet von Nidau und Biel bewegt sich die Mehrheit der Bevölkerung  zu Fuss, mit dem Velo oder einem anderen Nahverkehrsmittel fort. Damit entwickelt sich die Region zu einem vorbildhaften Labor für nachhaltige Entwicklung. Dies schafft Arbeitsplätze, lockt neue BewohnerInnen an – und bringt eine neue Dynamik in die Region.

 

LANGSAMVERKEHR AUF DER ÜBERHOLSPUR

Was gibt es schöneres, als in Paris dem Ufer der Seine entlang zu schlendern.  Am Wasser, unter Bäumen und sogar mitten auf der ehemaligen Expressstrasse laden schattige Plätze, Bänke und Kaffees zum Verweilen.

Der Blick schweift über das Wasser. Ein Maler fängt mit seinem Pinsel die Stimmung ein. Paare flanieren vorbei, Mütter und Väter mit Kinderwagen, aufgeregte TouristInnen, JogerInnen, spielende Kinder – PassantInnen auf Fahrrädern und Elektroscootern. 

Jahrzehntelang dominierten an den Ufern der Seine die Autos. Schritt für Schritt wurde Paris in der Nachkriegszeit zur «autogerechten Stadt» umgebaut: Schnellstrassen mitten durchs Zentrum, auf denen sich der motorisierte Verkehr immer wieder staute. Es wurde immer schlimmer: Blechlawinen am Flussufer, Gestank in der Luft, überhandnehmende Umweltverschmutzung. Keine Spur von Lebensqualität oder Romantik an der Seine, im Herzen von Paris…

Auf der Höhe des Hôtel de Ville erinnert eine Gedenktafel an die 1967 eingeweihte Expressstrasse entlang dem rechten Seineufer, die  1972 zu Ehren des damaligen Präsidenten in Voie Georges Pompidou unbenannt wurde. Damals war das Automobil noch Symbol von Freiheit und Fortschritt…

Heute blockieren zwei Poller den Zugang zur einstigen Schnellstrasse: Seit dem Frühjahr 2017 ist die Strasse am rechten Seineufer auf einer Strecke von über 4,5 Kilometern für den Autoverkehr gesperrt… Schnell moutierte die autobefreite Voie Pompidou zu einer vielfältig belebten grünen Oase… 

Auch vom linken Seineufer – zwischen dem Musée d’Orsay bis fast zum Eiffelturm – hat die Stadtregierung die Autos verbannt. Dieser rund 2,5 Kilometer lange Strassenabschnitt wurde schon 2013 der Bevölkerung zurückgegeben und lädt seither zum Verweilen und Geniessen ein.

«Piétonnisation» nennt sich das in Paris. Anne Hidalgo, die visionäre Bürgermeisterin hat das Projekt, welches schon von ihrem Vorgänger  angestossen und eingeleitet worden war, in den letzten Jahren mit voller Kraft vorwärts gebracht. Mit breiter Unterstützung der Bevölkerung — und gegen erheblichen Widerstand der Autolobby.

Die Verbannung der Autos vom malerischen Seineufer schafft Platz für neue Entwicklungen, Begegnungen und andere Formen der Mobilität. Allerdings reicht es nicht, die Autos allein aus dem Zentrum fernzuhalten. Am Beispiel von Paris lässt sich gut zeigen, was es braucht, um eine zukunftsfähige und menschengerechte Verkehrspolitik nachhaltig zu befördern: 

Es braucht eine Reihe von Massnahmen, die es den Menschen ermöglichen, den Stadtraum anders als mit dem Auto zu nutzen. PendlerInnen brauchen Alternativen, Velo‑, Scooter- und Fussverkehr mehr Platz und Sicherheit.

Deshalb beschränkt man sich in Paris nicht bloss auf die Aufwertung der  Flaniermeile entlang der Seine: Schritt um Schritt werden überall in der Stadt bisher vom Autoverkehr dominierte Strassen für andere Verkehrsmittel attraktiv und sicher gemacht.

Die Wandlung von der auto- zur menschengerechten Stadt ist in vollem Gang: Überall stösst man auf Baustellen, Verkehrsführungen und Signalisationen werden umgekrempelt.

FussgängerInnen sowie Velo- und ScooterfahrerInnen erhalten konsequent mehr Platz. Der sogenannte «Langsamverkehr» hat Priorität – seine Vorteile werden publik gemacht. Dies nicht zuletzt mittels Signalisationen, die aufzeigen, dass man im Zentrum von Paris mit dem Velo in der Regel schneller vorwärts kommt, als mit dem Auto…

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