ASTRA ZAHLENAKROBATIK
Jahr für Jahr erscheint ein Bericht des Bundesamts für Strassen (ASTRA), gespickt mit Zahlen und Grafiken. Das Ganze kommt sehr wissenschaftlich daher, die Stau- und Verkehrszahlen jeweils auf eine Stelle hinter dem Komma gerundet. Das heisst: auf einen Tausendstel genau.
Schon vor einem Jahr haben wir auf die Zahlenakrobatik des ASTRA hingewiesen. Auch dieses Jahr gibt es darüber wieder einiges zu berichten:
In der Öffentlichkeit erscheint in der Regel eine kondensierte SDA-Zusammenfassung. Wer jedoch den ganzen Bericht genau liest, stellt sich Fragen über Fragen. Denn Zahlen in eine Excel-Tabelle abfüllen und mit einer Formel ein Ergebnis, auf eine Stelle hinter dem Komma genau generieren, ist das eine. Viel wichtiger aber und entscheidend sind die verwendeten Daten: Wenn diese nicht stimmen und/oder wichtige Messzahlen fehlen, stimmt das Resultat noch weniger. Dass dieses mit Stellen hinter dem Komma versehen wird, kommt einem Rosstäuschertrick ähnlich. Das ASTRA beschreibt das dann so:
Im Klartext: Bis im Jahr 2015 wurden aufgrund einer ungenauen Messmethode das Verkehrsaufkommen um 4–5% zu hoch ausgewiesen. Sogar beim Eingeständnis der Fehlleistung klammert sich das ASTRA eisern an die Stellen hinter dem Komma.
Weiteres Beispiel: Messstellen. Das ASTRA verbreitet tatsächlich Zahlen über den Verkehr auf der A1 (auf eine Stelle hinter dem Komma genau) und tut gleichzeitig kund:
Im Klartext: Man operiert mit Kennzahlen (auf eine Stelle hinter dem Komma genau), obschon die Messapparate an Schlüsselstellen seit Jahren kaputt oder wegen Bauarbeiten nicht in Betrieb sind. Was das taugt? – Nichts.
Aber halt! Die Verkehrsingenieure wissen mit solchen Mängeln pragmatisch um zu gehen. Das Zauberwort heisst: PLAUSIBILISIEREN. Wiederum: Auf eine Stelle hinter dem Komma genau:
«Täglich werden die auf Stunden aggregierten Verkehrswerte von den Zählstellen zur zentralen Verkehrsdatenbank VMON des ASTRA übertragen. Dort werden die Daten plausibilisiert und daraus abgeleitete Kennzahlen publiziert (www.verkehrsdaten.ch).» Quelle: Rosenthal und Partner AG
Weiteres Beispiel: Das Astra verbreitet Zahlen über sogenannte «Stautage» und erklärt uns, was es damit meint:
Im Klartext: Egal ob ein einmaliger 5‑minütiger Stau (oder sogar bloss stockender Kolonnenverkehr) oder stundenlanger, wiederholter Stop-and-go-Verkehr – beides wird vom ASTRA unter «Stautag» subsumiert. Da wird eine Kategorie geschaffen, die Kraut und Rüben enthält und vermeintlich «beweist», dass die halbe motorisierte Schweiz täglich permanent im Stau steht.
Werden wenigstens die «Staustunden» (eine weitere ASTRA-Kategorie) präzise definiert und erfasst? Fehlanzeige. Auch das haben die ASTRA-Leute nicht im Griff: Der Einfachheit halber werfen sie nämlich Stau und Kolonnenverkehr in den selben Topf. Die Quellen: Polizeibeobachtungen, Viasuisse-Verkehrsmeldungen, private Staumelder – ein Jekami: alles kommt in die Datenwurst und wird plausibilisiert.
Im ganzen Bericht: Wohin man schaut, wird mit Grundlagendaten operiert, für die man keine harten Fakten hat. Das Material ist plausibilisierbar und wird folglich plausibilisiert.
Das ist die Basis, auf welcher im Schweizerland Verkehrsprognosen erstellt werden: Im Quadrat plausibilisierte Zahlenakrobatik.
Und nun soll aufgrund dieser Zahlenakrobatik der Bau eines A5-Westasts begründet oder verworfen werden…
Im Raum Biel messen ASTRA und Kanton den Verkehr an diesen Stellen:
Wir sind gespannt, welche Qualität die Verkehrsmessungen aufweisen, die dem Runden Tisch A5-Westast zur Verfügung stehen: Handelt es sich um aussagekräftige Hard Facts, oder einmal mehr um plausibilisierte Zahlen, auf eine Stelle hinter dem Komma genau.
Für den Dialogprozess und die Lösungsfindung ist es entscheiden, dass die beigezogenen Verkehrsexperten die Daten auf Herz und Nieren prüfen und nötigenfalls neue, aussagekräftige Daten über die aktuellen Verkehrsflüsse beschaffen lassen.
DIE STAUSCHLAUMEIER VOM ASTRA
Der Runde Tisch zum A5-Westast soll eine faktenbasierte Auslegeordnung zur heutigen und künftigen Verkehrssituation in der Region Seeland liefern. So weit, so gut.
Es ist zu hoffen, dass die geballte Expertenpower, die am Runden Tisch zum Einsatz kommen soll (Budget über 1 Million CHF), aufräumt mit gewissen Zahlen, die herumgeboten werden. Beispielsweise, wenn sie vom ASTRA kommen und von den Medien gerne und ungeprüft übernommen werden.
Zu was taugen Zahlen zur Stau-Erfassung, wenn das ASTRA, ohne rot zu werden, erklärt:
«Bei der Stauerfassung wird in der VSS-Norm SN 671 921 zwischen Verkehrssituationen mit «Stau» oder «stockendem Verkehr» unterschieden. Im Staubericht werden dagegen beide erfassten Zustände als «Stau» bezeichnet, da die für eine genaue Unterscheidung notwendigen netzweiten dynamischen Verkehrs- und Geschwindigkeitsdaten heute noch nicht verfügbar sind. Die Anzahl Staustunden ist die Dauer der Staus von deren Beginn bis zu deren Auflösung in Stunden.»* |
Wie bitte???
Stockender Verkehr wird also einfach dem Stau zugerechnet. Das muss man wirklich zweimal lesen. So wird «Zahlenmaterial» zu Propaganda verwandelt.
Sollte der Runde Tisch sich auf solche Fak(e)ten stützen, sägt er sich die Beine ab, auf denen er steht. Sein «Ergebnis» würde nicht akzeptiert werden und verkäme zu teurer Makulatur.
* https://www.astra.admin.ch/astra/de/home/themen/nationalstrassen/verkehrsfluss-stauaufkommen/definitionen
Die Probe aufs Exempel:
Wie aus stockendem Verkehr «statistischer» STAU gemacht wird:
Noch mehr über ASTRA-Zahlenakrobatik: hier lesen und staunen