JAHRESRÜCKBLICK 2020

Ein vergleichsweise stilles Jahr geht zu Ende, in Sachen Westast. Wir erinnern uns, dass im November 2018 noch Tausende auf die Strasse gingen, um gegen das Monsterprojekt zu demonstrieren. Mit (vorläufigem) Erfolg: Statt den Autobahnbau mit Gewalt an der Bevölkerung vorbei durchzupauken, hat der damalige Berner Regierungspräsident und Baudirektor Christoph Neuhaus einen Dialogprozess verordnet.

Mit dem Start des Runden Tischs im Februar 2019 verlagerte sich die Auseinandersetzung um den Autobahnbau in der Region Biel: Hatte in den Monaten zuvor eine breite, von der Bevölkerung der Region mitgestaltete und getragene Bewegung den Diskurs massgeblich beeinflusst, wurde der «Dialog» nun wieder delegiert: An den Gesprächen beteiligt waren und sind rund 60 VertreterInnen von Organisationen und Behörden.

Als Leiter des «Dialogprozesses» verpflichtete der Kanton den pensionierten ehemaligen UVEK-Generalsekretär Hans Werder. Ihm steuernd zur Seite stehen der ebenfalls pensionierte ehemalige Kreisingenieur Fritz Kobi sowie der Städtebauexperte Han van de Wetering. Ihre Inputs prägten den Verlauf der Diskussionen massgeblich. Basierend auf zwei Kurzberichten der Experten diskutierten die Mitglieder der Kerngruppe – je vier VertreterInnen der BefürworterInnen des Ausführungsprojekts und der GegnerInnen sowie Behördenmitglieder von Biel und Nidau – in den letzten Wochen insbesondere über kurz und mittelfristige Massnahmen, um die städtebauliche und verkehrliche Situation in Biel und Nidau zu verbessern.

So soll es auch im kommenden Jahr weiter gehen. Die im November 2019 von der Behördendelegation geforderte Beschränkung des Betrachtungsperimeters auf die Strecke des geplanten Westasts wurde dabei stillschweigend in den Wind geschlagen. So erklärte etwa der Bieler Stadtpräsident Erich Fehr – seines Zeichens sowohl Mitglied der Behördendelegation wie der Kerngruppe – Ende Dezember 2019 gegenüber dem Bieler Tagblatt: «Eine Empfehlung des Dialogprozesses könnte letztlich zum Beispiel sein, die Variante Seelandtangente genauer anzuschauen.»

Ein vielsagendes Statement, das hoffnungsvoll stimmt. Genauso, wie die in der Kerngruppe andiskutierte Wiederbelebung des seit Jahren schubladisierten Projekts für ein Regiotram, die konkreten Vorschläge für eine attraktivere Gestaltung der Bahn- und Busverbindungen in der Region sowie des Fuss- und Veloverkehrs, Überlegungen zu Transitverboten für den Schwerverkehr…

Ein Fortschritt, wenn nicht gar ein Durchbruch, dass endlich nicht mehr nur über Autobahn-Varianten gesprochen und gestritten wird, sondern über Lösungsansätze und ‑möglichkeiten für real existierende Probleme und Herausforderungen. Wird dieser Ansatz konsequent und ernsthaft weiterverfolgt, dürfte die Varianten-Diskussion bald vom Tisch sein: Mit klugen, innovativen Alternativmassnahmen, die schneller und gezielter greifen als das geplante Ausführungsprojekt, wird dieses definitiv überflüssig. Weil klar wird: Ein Verzicht auf den Westastbau heisst nicht, auf Verbesserungen verzichten. Im Gegenteil: Der Entscheid gegen den Westast eröffnet Möglichkeiten und löst Blockaden, unter denen die Region schon seit Jahren leidet.

So könnte der Jahresrückblick Ende 2020 davon erzählen, dass die Bauarbeiten auf der Brache am Gurnigelkreisel in Bälde wieder aufgenommen werden. Auch im Wydenauquartier wird neu geplant, und die schönen Liegenschaften im Gurnigelquartier können endlich saniert werden, weil der Enteignungsbann aufgehoben wurde. Die Hauptstrasse in Nidau, wo Tempo 30 eingeführt wurde, soll vom Schwerverkehr befreit werden. Dafür können Reisende vom rechten Bielerseeufer wie aus dem Bözingenfeld in wenigen Jahren schon mit dem Regiotram bequem ins idyllische Nidauer Zentrum reisen.

Am linken Bielerseeufer atmet die Bevölkerung auf: Ein Transitverbot für den Schwerverkehr erlaubt den partiellen Rückbau der N5 – ohne, dass weitere Strassentunnels mit problematischen Tunnelportalen gebaut werden müssen. Stattdessen sollen Fuss- und Velowege in dieser auch touristisch attraktiven Region mehr Platz erhalten und aufgewertet werden.

Mit dem Bau von Park und Ride-Möglichkeiten in den Zentren der Agglomeration wird PendlerInnen das Umsteigen auf öffentliche Verkehrsmittel oder das Fahrrad leicht gemacht: Auf den kurzen Strecken im Stadtgebiet von Nidau und Biel bewegt sich die Mehrheit der Bevölkerung  zu Fuss, mit dem Velo oder einem anderen Nahverkehrsmittel fort. Damit entwickelt sich die Region zu einem vorbildhaften Labor für nachhaltige Entwicklung. Dies schafft Arbeitsplätze, lockt neue BewohnerInnen an – und bringt eine neue Dynamik in die Region.

 

LANGSAMVERKEHR AUF DER ÜBERHOLSPUR

Was gibt es schöneres, als in Paris dem Ufer der Seine entlang zu schlendern.  Am Wasser, unter Bäumen und sogar mitten auf der ehemaligen Expressstrasse laden schattige Plätze, Bänke und Kaffees zum Verweilen.

Der Blick schweift über das Wasser. Ein Maler fängt mit seinem Pinsel die Stimmung ein. Paare flanieren vorbei, Mütter und Väter mit Kinderwagen, aufgeregte TouristInnen, JogerInnen, spielende Kinder – PassantInnen auf Fahrrädern und Elektroscootern. 

Jahrzehntelang dominierten an den Ufern der Seine die Autos. Schritt für Schritt wurde Paris in der Nachkriegszeit zur «autogerechten Stadt» umgebaut: Schnellstrassen mitten durchs Zentrum, auf denen sich der motorisierte Verkehr immer wieder staute. Es wurde immer schlimmer: Blechlawinen am Flussufer, Gestank in der Luft, überhandnehmende Umweltverschmutzung. Keine Spur von Lebensqualität oder Romantik an der Seine, im Herzen von Paris…

Auf der Höhe des Hôtel de Ville erinnert eine Gedenktafel an die 1967 eingeweihte Expressstrasse entlang dem rechten Seineufer, die  1972 zu Ehren des damaligen Präsidenten in Voie Georges Pompidou unbenannt wurde. Damals war das Automobil noch Symbol von Freiheit und Fortschritt…

Heute blockieren zwei Poller den Zugang zur einstigen Schnellstrasse: Seit dem Frühjahr 2017 ist die Strasse am rechten Seineufer auf einer Strecke von über 4,5 Kilometern für den Autoverkehr gesperrt… Schnell moutierte die autobefreite Voie Pompidou zu einer vielfältig belebten grünen Oase… 

Auch vom linken Seineufer – zwischen dem Musée d’Orsay bis fast zum Eiffelturm – hat die Stadtregierung die Autos verbannt. Dieser rund 2,5 Kilometer lange Strassenabschnitt wurde schon 2013 der Bevölkerung zurückgegeben und lädt seither zum Verweilen und Geniessen ein.

«Piétonnisation» nennt sich das in Paris. Anne Hidalgo, die visionäre Bürgermeisterin hat das Projekt, welches schon von ihrem Vorgänger  angestossen und eingeleitet worden war, in den letzten Jahren mit voller Kraft vorwärts gebracht. Mit breiter Unterstützung der Bevölkerung — und gegen erheblichen Widerstand der Autolobby.

Die Verbannung der Autos vom malerischen Seineufer schafft Platz für neue Entwicklungen, Begegnungen und andere Formen der Mobilität. Allerdings reicht es nicht, die Autos allein aus dem Zentrum fernzuhalten. Am Beispiel von Paris lässt sich gut zeigen, was es braucht, um eine zukunftsfähige und menschengerechte Verkehrspolitik nachhaltig zu befördern: 

Es braucht eine Reihe von Massnahmen, die es den Menschen ermöglichen, den Stadtraum anders als mit dem Auto zu nutzen. PendlerInnen brauchen Alternativen, Velo‑, Scooter- und Fussverkehr mehr Platz und Sicherheit.

Deshalb beschränkt man sich in Paris nicht bloss auf die Aufwertung der  Flaniermeile entlang der Seine: Schritt um Schritt werden überall in der Stadt bisher vom Autoverkehr dominierte Strassen für andere Verkehrsmittel attraktiv und sicher gemacht.

Die Wandlung von der auto- zur menschengerechten Stadt ist in vollem Gang: Überall stösst man auf Baustellen, Verkehrsführungen und Signalisationen werden umgekrempelt.

FussgängerInnen sowie Velo- und ScooterfahrerInnen erhalten konsequent mehr Platz. Der sogenannte «Langsamverkehr» hat Priorität – seine Vorteile werden publik gemacht. Dies nicht zuletzt mittels Signalisationen, die aufzeigen, dass man im Zentrum von Paris mit dem Velo in der Regel schneller vorwärts kommt, als mit dem Auto…

BIELER TRAMGESCHICHTENTO BE RELOADED

Am 18. August 1877 fuhr das erste Rösslitram von Biel nach Bözingen. Ein halbes Jahr später wurde die Verbindung bis zur Kirche Nidau verlängert. – Damit gehörte die Stadt am Jurasüdfuss schweizweit zu den Pionieren des öffentlichen Verkehrs: Nach Genf war Biel die zweite Stadt in der Schweiz, die sich ein Tram leistete.

Für die Finanzierung hatte man bereits 1874 ein «Initiativkomitee für die Schaffung eines Trams» gegründet, die sich zum Ziel gesetzt hatte, ein «billiges, gemeinnütziges und in jeder Beziehung wünschenswertes Verkehrsmittel» auf die Beine zu stellen.

Innert kürzester Zeit wurden Aktien im Wert von 150’000 Franken gezeichnet – die Konzession für den Betrieb ging an die Genfer Tramway-Gesellschaft. Diese startete ihren Betrieb mit 18 Pferden und vier Wagen. Ab 1878 legten diese 20mal pro Tag die gut 9 Kilometer lange Strecke Nidau–Bözingenfeld–Nidau zurück. Die Strassenbahn fuhr im Halbstundenbetrieb, der Fahrpreis betrug 20 Rappen – für damalige Verhältnisse ein stolzer Preis.

1901 wurde die Strecke elektrifiziert – 1913 kam eine Tramlinie nach Mett hinzu. Doch Biel war nicht nur eine der ersten Städte in der Schweiz, die ein Tram hatte – sie war auch die erste Stadt, die dieses wieder abschaffte: Zwischen 1926 bis 1948 wurden die gut ausgebauten Tramlinien nach und nach auf Trolleybusbetrieb umgestellt. Das Tram war aus der Mode gekommen. Es galt als «veraltetes Verkehrsmittel und als Hindernis für den Autoverkehr».

Damit war das Kapitel Tram abgeschlossen. Bis man Anfang des neuen Jahrtausends im Rahmen der vom Bund unterstützten Agglomerationsprojekte eine «neue ÖV-Achse» ins Auge fasste. Dies, weil sich das südliche Seeufer immer mehr zum Wohngebiet entwickelte, während im Bözingenfeld neue Arbeitsplätze entstanden. Mit dem Bau des sogenannten Regiotrams sollten diese beiden Gebiete besser miteinander verbunden werden.

Die Idee: Das gute alte «Töiffele-Bähnli» – die einstige BTI und heutige Aare-Seeland-Mobil sollte bis ins Bözingenfeld verlängert und mit einem verdichteten Fahrplan als Tram weiterentwickelt werden. Ab 2009 erarbeitete der Kanton zusammen mit den betroffenen Gemeinden eine Vorstudie. Ende 2011 wurde ein Vorprojekt vorgestellt – spätestens 2017 wollte man das Regiotram zur Abstimmung bringen.

Die Weiterarbeit wurde 2012 vorerst einmal unterbrochen, weil man die Linienführung des Trams im Bahnhofbereich mit der Planung des A5-Westasts koordinieren müsse, wie es hiess. Es gab jedoch auch grundsätzlichen Widerstand gegen das Tramprojekt. Ein Verein «Stop Regiotram» hatte sich zum Ziel gesetzt, das aus seiner Sicht «viel zu teure Projekt» zu verhindern.

Mit CHF 300 Millionen hätte der Bau der Tramlinie ins Bözingenfeld einen Bruchteil dessen gekostet, was für den A5-Westast budgetiert wurde. Während man jedoch an der teuren Autobahn munter weiter plante, wurde das Regiotram von der Behördendelegation der involvierten Gemeinden im März 2015 schubladisiert.

«Ich glaube nicht, dass das je realisiert wird», sagte die damalige Berner Baudirektorin Barbara Egger 2016 in einem Gespräch. Von Anfang an habe sie eine unglaublich starke Opposition gegen das Tram gespürt – und schliesslich habe die Behördendelegation, in der die betroffenen Gemeinden und der Kanton vertreten waren, das Projekt aus finanziellen Gründen auf Eis gelegt.

Weil es sich beim Regiotram um ein kantonales Projekt handelte, hätten sich die Städte finanziell beteiligen müssen – allen voran die Stadt Biel, sagte Egger: «Biel hatte kein Geld und Nidau war sehr skeptisch. Die Behördendelegation hat das Projekt beerdigt. Realistisch gesehen liegt es nicht einmal mehr in einer Schublade.»

Bemerkenswert der Kommentar des Bieler Stadtpräsidenten Erich Fehr zur Sistierung des Tramprojekts im Bieler Tagblatt vom 27. März 2015: «Die Verkehrsprobleme in Biel sind wohl doch nicht so schlimm, damit es für einen Konsens reicht, dass es das Regiotram braucht.»

Es wäre schwierig, sagte Fehr weiter, «der Bevölkerung zu vermitteln, wieso sie jetzt einem Millionen-Projekt zustimmen sollte, das seine volle Wirkung erst in Jahrzehnten entfaltet.» Mit der Tissot-Arena, der Schüssinsel oder Agglolac habe Biel bereits eine Reihe weiterer Grossprojekte am Laufen, «da gilt es, Prioritäten zu setzen.»

Ob man mit der Tissot-Arena und Agglolac anstelle des Regiotrams die Prioritäten richtig gesetzt hat, fragen sich heute viele in der Region Biel und wünschen sich, dass jetzt der A5-Westast in die Schublade versenkt wird. Dafür sollte die Regiotram-Planung wieder hervorgeholt, aktualisiert und vorangetrieben werden.

Wegen der starrsinnigen Fixierung auf den Autobahnwestast, hat man es verpasst, ein zukunftstaugliches Konzept für den öffentlichen Verkehr in der Region zu entwickeln. Deshalb ist die Stadt Biel aktuell weit davon entfernt, auch im 21. Jahrhundert zu den Pionieren des öffentlichen Verkehrs zu gehören.

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