DIE WESTAST STORY

Folge 1

DÉJÀVU

Am Montag 07.12.2020 war es also soweit: Hans Werder, seines Zeichens pensionierter UVEK-Generalsekretär und vom Kanton ernannter General in Sachen Westast-Dialog, gab in einer Art Zeremonie Regierungsrat Christoph Neuhaus den Stab zurück – coronabedingt nur auf Zoom-Distanz zur physisch nicht anwesenden Öffentlichkeit.

Seit Wochen wurden alle am Dialog Beteiligten darauf eingeschworen, sich unbedingt an die befohlene Sperrfrist zu halten und das langangekündigte Resultat ja nicht vorzeitig öffentlich zu machen – und insbesondere auch gegenüber Medienanfragen mit Schweigen zu antworten.

Die Schlussdokumente mit den Empfehlungen unterlagen dementsprechend bis 17 Uhr einer Sperrfrist. Allerdings war das Wesentliche des Deals, der an diesem Tag gefeiert werden soll, längst bekannt.

Im Zentrum stand ein Kuhhandel, den das Bieler Tagblatt bereits vor einem Monat wie folgt zusammenfasste:

«Das Ausführungsprojekt wird nicht weiterverfolgt, der Autobahnanschluss Bienne Centre ist vom Tisch, die Schliessung der letzten Autobahnlücke im nationalen Strassennetz beschlossene Sache (…) Und der Porttunnel soll als Zubringer Ostast realisiert werden.»

Mit anderen Worten: Nach fast zwei Jahren «Dialogprozess», bei dem die Westastgegnerschaft angetreten war, Autobahnanschlüsse in der Stadt zu verhindern und mit einem ganzheitlichen Ansatz einen zukunftsfähigen Plan für die Gestaltung des Verkehrs in der Region Biel zu entwickeln, unterschreibt die Mehrheit der am Prozess beteiligten Organisationen – oder besser gesagt, deren VertreterInnen – ein Papier, das keinen dieser Ansprüche einlöst.

Nach dem ersten Treffen des «Runden Tischs» im Februar 2019 zeigte sich Catherine Duttweiler als Vertreterin der westastkritischen Organisationen optimistisch. Im Interview mit dem Schweizer Fernsehen SRF, das 2020 wieder mit einer Live-Schaltung vor Ort war, sagte sie damals:

«…jetzt werden wir aufpassen, dass wir nicht wieder über den Tisch gezogen werden, wie dies vor 10 Jahren geschehen ist. Damals hatte man ebenfalls einen solchen Begleitprozess, das war eher eine Alibiübung – jetzt sieht es etwas besser aus.»

Die Voraussetzungen waren tatsächlich einiges besser als in der Vergangenheit. Während der Widerstand gegen die zerstörerischen Auswirkungen des Westasts in der ersten Planungsphase auf eine Handvoll KämpferInnen in den direkt betroffenen Quartieren und eine laue Opposition der Schutzverbände beschränkt blieb, stand diesmal eine breite Volksbewegung auf Seiten der Westastgegnerschaft. Wichtige Parteien – namentlich SP und Grüne, die lange lavierten und in der Bieler Stadtregierung durch vehemente Westast-BefürworterInnen vertreten waren – hatten inzwischen ebenfalls ins Lager der Westast-Gegnerschaft gewechselt…

Man durfte deshalb zu Recht einiges erwarten, von diesem Westast-Dialog. Allerdings stand auch dieser Prozess von Anfang an unter keinem guten Stern: Mit Hans Werder setzte der Kanton einen autoritär agierenden ehemaligen Chefbeamten alter Schule an die Spitze des «Dialogs». An seiner Seite operierte der ebenfalls pensionierte ehemalige Oberkreisingenieur Fritz Kobi – ebenfalls alte Schule und getarnt als «Sparringpartner» – in entscheidender Position.

Die Kerngruppe mutierte bald zum tonangebenden Gremium, wo die Musik spielte. Die Dialoggruppe hingegen, in der alle am Prozess beteiligten Organisationen vertreten waren und die eigentlich Entscheidungsgewalt hätte haben sollen, wurde je länger desto stärker zum Abnickgremium degradiert.

Das Päcklein, das nun geschnürt worden ist , ist keinesfalls das Resultat eines transparenten und partizipativen Prozesses. Im Gegenteil: Im Hintergrund zogen einzelne Mitglieder der Kerngruppe sowie Generalsekretär Werder, sekundiert von den beiden Gehilfen Kobi und Van de Wetering die Strippen, um auf Teufel komm raus einen Erfolg in Form eines «gemeinsamen» Schlusspapiers präsentieren zu können.

Ob es der Westastgegnerschaft diesmal tatsächlich gelungen ist, sich nicht über den Tisch ziehen zu lassen, darf nach aufmerksamem Lesen des wortreichen Dokuments mit guten Gründen bezweifelt werden:

Erstens dürfte das Ausführungsprojekt für den Westast zwar tatsächlich Geschichte sein – allerdings mit Ausnahme des Porttunnels, was eigentlich ein No-Go ist, heisst doch das offizielle Projekt von 2014 «Generelles Projekt Umfahrung Biel West mit Porttunnel». – Ein Projekt «nur Porttunnel» müsste der Bundesrat demnach erst noch genehmigen.

Zweitens geben die Empfehlungen nicht nur grünes Licht für die Bohrarbeiten am Port- und am Twanntunnel, sondern sogar für sofortige Planungsschritte für eine neue Tunnelvariante in und unter Biel hindurch – mit einer mirakulösen Anbindung an das Stadtzentrum.

Irgendwie halt doch erneut ein Déjà-vu.

 


9. Dezember 2020:

Folge 2

DIE STUNDE DER FUNKTIONÄRE

 

«Jetzt kommen dann, zumindest was die Autobahn, was den Westast angeht, vier Wochen Weihnachtspause…», verkündete Stadtpräsident Erich Fehr an der gestrigen Schlussveranstaltung zum Westast-Dialogprozess.

 

 

Fast wie auf einem Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas (allerdings vor fast leeren Rängen) klopften sich die Männer des Zentralkomitees (=Kerngruppe) gegenseitig verbal auf die Schultern und dankten und lobten und dankten noch einmal, was das Zeug hielt. Um gleichzeitig mit einem entschlossenen Lächeln den Tarif für das weitere Vorgehen durchzugeben.

Einer nach dem andern trat ans Mikrofon – genau nach Drehbuch: Für die Westastgegnerschaft teilten sich gleich zwei Verbandsfunktionäre in die mit fünf Minuten knapp veranschlagte Redezeit. Urs Scheuss als Vertreter des VCS hielt sich kurz, dankte, gab seiner Freude Ausdruck und verschickte Grussnoten an Autobahn-Widerstandsgruppen in der ganzen Schweiz.

Auch André König von Pro Velo Biel sowie im Berufsleben Teilhaber des Planungsbüros Infraconsult in Bern dankte – speziell Baudirektor Neuhaus und dem Astra für deren Mut. Sie hätten einen Prozess ermöglicht, dessen Resultat «noch viel Kraft und Arbeit braucht, bei der Umsetzung.» Selbstredend sieht er sich – und seine Firma – als künftigen Auftragnehmer. Das Planungspotenzial, das aus den Empfehlungen des Dialogprozesses erwächst, ist enorm und ein wahres El Dorado für die Planungsprofis, die im Dialogprozess, unter dem Deckmäntelchen eines Verbandes, nicht zuletzt auch für sich selber lobbyiert haben.

Als nächster Redner dann Peter Bohnenblust, Vertreter der Westast-Befürworterschaft in der Kerngruppe. Der pensionierte Staatsanwalt ist Verwaltungsratsmitglied des TCS Schweiz und Präsident der Sektion Biel/Bienne-Seeland, FDP Stadtrat in Biel – und ab Frühjahr 2021 Bernischer Grossrat. In seiner kurzen Ansprache gab er deutsch und deutlich zu verstehen, dank welcher Zugeständnisse und Formulierungen im Schlusspapier der «Kompromiss» für die Westastbefürworter vertretbar sei:

«Hauptgrund: Wir haben ein Ja zum Porttunnel erreicht.

Ja zur Schliessung der Netzlücke 

Optimale Anbindung und Erreichbarkeit des Kerngebietes 

Die Vorarbeiten für die langfristige Lösung beginnen zeitgleich mit der Prüfung der kurz- und mittelfristigen Massnahmen und 

Bei der Machbarkeitsstudie soll das Ausführungsprojekt als Referenzprojekt dienen.»

Als einzige Frau in der gestrigen Männerveranstaltung hatte die Nidauer Stadtpräsidentin ihren Auftritt: Wohlweislich überliess sie es ihren Verbündeten, die Werbetrommel für den Porttunnel zu rühren und betonte selber bloss wiederholt, dass man nun vorwärts machen und die Empfehlungen umsetzen müsse. «Wir müssen sofort aktiv werden, solange bei allen Beteiligten die Empfehlungen noch frisch und präsent sind.»

Nach der Stadtpräsidentin dann der Auftritt von Erich Fehr. Noch keine vier Monate ist es her, dass der langjährige vehemente Kämpfer für die Westastautobahn kurz vor den Bieler Wahlen die Seiten gewechselt und den Westast für politisch tot erklärt hat.

Seither setzte er alle Hebel in Bewegung, um unter den neuen Vorzeichen das Zepter in die Hände zu bekommen und die künftige Umsetzung der im Schlusspapier enthaltenen Empfehlungen zu steuern und zu kontrollieren.

Ab dem 4. Januar, so Fehr, gelte es, Gas zu geben: «Vergessen wir nicht: Nächsten Frühling ist Anmeldeschluss für das Agglomerationsprogramm der 4. Generation, und verschiedene Ansätze der kurz- und mittelfristigen Massnahmen werden über diesen Weg zu finanzieren sein. Wenn es uns nicht gelingt, diese rechtzeitig einzugeben, verliert unsere Region vier Jahre.»

Damit für alle klar wurde, wer ab jetzt der Chef ist, kündigte er an, dass für die weiteren Schritte eine Projektorganisation JURATUNNEL geschaffen werde, «unter meiner Leitung.»

Wie Autobahnbefürworter Bohnenblust, betonte auch er, dass eine rasche Umsetzung des Porttunnels höchste Priorität habe. Mit einer erstaunlichen Begründung: Der Porttunnel werde «bei der Weiterentwicklung des öffentlichen Verkehrs und des Langsamverkehrs helfen.» 

Dann drückte er allen «konstruktiven» und «relevanten» Kräften im Prozess seinen Dank aus und zückte die Bescheidenheits-Trumpfkarte: «Avec une certaine modestie je me permets aussi de dire, je pense d’avoir contribué beaucoup à ce résultat…» Er wolle unterstreichen, dass er an sämtlichen Sitzungen der Dialog- wie der Kerngruppe teilgenommen habe.

Nach all diesen schönen Worten wurde es nun höchste Zeit für den Höhepunkt: Die Verbands- und BehördenvertreterInnen übergaben die Schlusspapiere an Regierungsrat Neuhaus und der Dialog-Chef Hans Werder überreichte nach siegreichem Kampf seinem Häuptling Christoph Neuhaus, der ihn im Dezember 2018 aufgrund des Drucks von der Strasse als Dompteur des Dialogprozesses berufen hatte, ein phallisch anmutendes Stück Tannenholz.

Da konnte Neuhaus nicht anders als ebenfalls zu loben: «Die Empfehlungen der Dialoggruppe erscheinen mir zweckmässig und zukunftsgerichtet. Der Kanton will nicht mehr am Ausführungsprojekt Westumfahrung festhalten, wichtig scheint mir aber, den Porttunnel als Zubringer zur Nationalstrasse weiterzuverfolgen und auch zu realisieren.»

Da ist er wieder, der Porttunnel. Und niemand wird erstaunt sein, wenn dieses unsinnige Autobahnzubringer-Projekt, das mehr Probleme schafft als löst, im nächsten Frühjahr beim Agglomerationsprogramm eingereicht wird. Deshalb musste der Porttunnel partout in der Rubrik der kurz- und mittelfristigen Lösungen» ins Schlusspapier, deshalb das entschlossene Durchgreifen von Fehr + Co…

Millionen, die falls eine Finanzierung aus dem Agglomerationsprogramm für den Porttunnel bewilligt wird, fehlen werden. Viel besser würde man das Geld für Projekte zur entschlossenen Förderung des Fuss- und Veloverkehrs oder für den öffentlichen Verkehr – etwa die Revitalisierung des Projekts Regiotram – einsetzen.

Auch weitere Punkte, die Regierungsrat Neuhaus in seiner Rede herausstrich, dürften der Westastgegnerschaft keine Freude bereiten. So betonte er, dass die Klärung der Linienführung für «eine neue Autobahnlösung zur Schliessung der Netzlücke» zeitnah in Angriff zu nehmen sei.

Und dann zu guter Letzt noch die magistralen Schlussworte: «Dankbar dafür, dass diese Arbeit das gemeinsame Verständnis wie die Verkehrsprobleme in und um Biel angegangen und gelöst werden können, gefördert hat – und man hat damit eine nachhaltige Basis für die weiteren Schritte stellen können. Mit diesen Worten erkläre ich den Dialogprozess Westast als beendet.»

Das wär’s dann gewesen. Dialog fertig – aus. Umso wichtiger ist es, hier zum Schluss doch noch einen Satz aus dem Kommentar von Deborah Balmer im Bieler Tagblatt vom 8. Dezember 2020 zu zitieren. Ihr Fazit: «Der Ball liegt jetzt also wieder bei den Behörden. Liebe Vertreter der Stadt, des Kantons und des Bundes: Nehmen Sie die Arbeit, für die in Biel in zahlreichen Sitzungen der Grundstein gelegt wurde, so rasch wie möglich auf. Und vergessen Sie dieses Mal die Bevölkerung nicht!»

Am 4. Januar ist die Bieler Bevölkerung aus den Ferien zurück, Herr Fehr, und sie wird sich garantiert wieder einmischen. Sorry.

 


14.  Dezember 2020:

Folge 3

DER JURATUNNEL
oder:
BACK TO THE FUTURE

 

Am 7. Dezember 2020 hat Regierungsrat Christoph Neuhaus in Biel die «Empfehlungen» des Westast-Deals der Westast-Dialoggruppe dankend entgegengenommen und wiederholt versichert: Die Empfehlungen seien nachvollziehbar und plausibel, der Kanton werde nicht länger am Ausführungsprojekt für den Westast festhalten. Er wolle nicht gegen, sondern für die Leute bauen…

Genauso dezidiert stellte der SVP-Politiker jedoch in Aussicht: Gebaut soll trotzdem werden. Weil der Weg des Bözingers nach Neuchâtel, so Neuhaus, nach wie vor ein steiniger sei. Gegenüber dem Bieler Tagblatt verriet er denn auch, wie es jetzt weitergehen soll: « (…) Dann geht es darum, eine Projektorganisation «Juratunnel» auf die Füsse zu stellen. Das werde ich am 17. Dezember der Behördendelegation schmackhaft machen.»

Damit hat der Berner Baudirektor ausgesprochen, was im Empfehlungspapier des Westast-Deals nur zwischen den Zeilen steht: Der Juratunnel ist – wie Phoenix aus der Asche – wiederauferstanden. Die Autobahnvariante, für welche die Stadt Biel lange gekämpft hatte, die aber 1992 von Bund und Kanton definitiv abgeschmettert wurde, erlebt plötzlich ein Revival.

Dem Vernehmen nach wurde diese «Variante» in der Kerngruppe insbesondere von den Herren Werder und Kobi gepusht, von den Westastbefürwortern begrüsst, und sogar in der Westastgegnerschaft fand sie Sympathisanten. Fest steht: Im 12seitigen Empfehlungspapier wurden die Weichen für eine «Langfristlösung Juratunnel» gestellt.

Und zwar so geschickt, dass nicht mit dem Juratunnel nördlich der Stadt Biel gestartet wird, sondern mit dem unverzüglichen Bau des Porttunnels, der in Ipsach enden soll. Damit wäre die Seelandtangente, die sich nach wie vor einer grossen Anhängerschaft erfreut, endgültig vom Tisch. Denn die Verbindung des Porttunnels mit der Seelandtangente müsste – so er denn je gebaut wird – im Jäisser Moos enden und nicht mitten im Dorf Ipsach.

Auch die Empfehlung, dass Tunnelbauten unbedingt «bergmännisch» zu erstellen seien, richtet sich letztlich gegen die Seelandtangente, da ein Tunnel – würde er durchs grosse Moos gebaut – ohne Probleme im Tagbau zu erstellen wäre. Man hört aber, dass die Behörden sowie die grossen Verbände partout keine Seelandtangente wollen – warum auch immer.

Also zaubert man den längst tot geglaubten Juratunnel aus dem Ärmel. Schon in den 1980er Jahren plante man einen Tunnel vom Bözingenfeld bis zum Seefels. Vergeblich kämpfte der damalige Stadtpräsident Herrmann Fehr Anfang der 1990er Jahre für diese Variante. Will Sohn Erich Fehr nun etwa antreten, um das Werk seines Vaters zu vollenden und Biel über ein halbes Jahrhundert später doch noch zu einem Juratunnel zu verhelfen?

Eine Schnapsidee. Von «Experten» und «Verkehrsplanern» im «Dialogprozess» vorangetrieben. Obschon klar ist: Die Projektierung und Entwicklung eines baureifen Juratunnelprojekts bräuchte Jahre, wenn nicht Jahrzehnte. Niemand kenne die geologischen Details, die es zu berücksichtigen gäbe, sagen Fachleute.

Die Ressourcen, die für diese sinnlose Planung eingesetzt werden sollen, würde man besser in innovative und zukunftstaugliche Lösungen investieren. Denn einen Juratunnel werden die Leute in der Stadt Biel niemals wollen. Also wird man ihn auch nie bauen – wenn wir den Worten von Regierungsrat Neuhaus Glauben schenken wollen.

Das Hauptproblem beim Juratunnel ist nämlich, dass dieser – aus Sicht der Autobahnbefürworter – zwingend einen Anschluss in der Stadt haben müsste. Am besten in der Seevorstadt, wie dies schon beim ursprünglichen Projekt der Fall gewesen wäre.

Auch daran haben die Unterhändler gedacht: Der vorliegende Westast-Deal enthält kein explizites Verbot für den Bau von «innerstädtischen Anschlüssen», wie dies die Westastgegnerschaft ursprünglich gefordert hatte. Auch dies im Hinblick auf den Juratunnel…

Das Ganze klingt wie ein schlechter Witz: Das aus der Zeit gefallene Westast-Projekt wurde gebodigt – und soll nun durch ein noch älteres Steinzeitprojekt ersetzt werden?

 


17. Dezember 2020:

Folge 4

HAUFENWEISE WEIHNACHTSPOST
IM BUNDESHAUS

 

© Wikimedia Commons

Wir stellen uns vor: Wie jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit, überquellen die Postfächer im Bundeshaus Nord. Im Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) türmen sich dieser Tage Berge von Couverts und Päckchen mit Neujahrs-Karten und «Aufmerksamkeiten», sogar aus den hintersten Tälern der Schweiz.

Bauunternehmer, Ingenieur‑, Umwelt‑, Planungs- und Consultingbüros bedanken sich für erhaltene Aufträge und preisen ihre Dienste für künftige Mandate an. Ein emsiges Buhlen, adressiert an die Departementsvorsteherin und ihre ChefbeamtInnen, verpackt in Festtagsbotschaften und Neujahrswünsche. Ob es wirklich so ist, wissen nur die bundehausbediensteten PostbotInnen.

Ab und an landet aber auch andere Post auf den Bundesverwaltungsschreibtischen. So voraussichtlich am kommenden Montag oder Dienstag. Wir stellen uns weiter vor, dass dannzumal der zuständige Beamte, die zuständige Beamtin ein gelbes Amts-Couvert zwischen all den gold- und sternchenbeschrifteten Botschaften hervorklauben wird. Adressiert an den Rechtsdienst des UVEK. Absender: Tiefbauamt des Kantons Bern. Möglicherweise ist der unauffällige Briefumschlag nicht einmal frankiert, weil ihn der Berner Baudirektor Christoph Neuhaus in den frühen Morgenstunden, auf dem Weg ins Berner Rathaus, persönlich mit dem Velo an der Pforte des Bundeshauses Nord vorbeigebracht hat.

Dies, weil ihm die Botschaft, die er zu überbringen hat, besonders am Herzen liegt. Es handelt sich dabei um den Entscheid, den die Behördendelegation anlässlich ihres Treffens vom 17. Dezember 2020 gefällt hat: Laut ihrer Medienmitteilung, die sie bereits am Vormittag verschickt hat, geht die Behördendelegation mit der Dialoggruppe einig, «dass das Ausführungsprojekt A5 Westumfahrung Biel/Bienne nicht weiterverfolgt wird.» Das heisst: Das Autobahn-Ausführungsprojekt Westast Biel wird endgültig begraben.

In der Mitteilung ans UVEK dürfte deshalb stehen, dass der Kanton beantrage, das bis zum 31.12.2020 sistierte Auflageverfahren in Sachen Westumfahrung Biel sei nicht wieder aufzunehmen, sondern definitiv abzuschreiben.

Das heisst: Das aufwändige Einspracheverfahren in Sachen «Westumfahrung Biel» wird per sofort eingestellt. Die 650 Einsprechenden dürften im Lauf des Januars vom UVEK ein entsprechendes Schreiben erhalten. Jene, die für ihre Einsprachen Auslagen für einen Advokaten, eine Advokatin hatten, erhalten eine Rückerstattung – alle anderen dürfen einfach bloss aufatmen, dass es vorbei ist. Denn damit ist auch der Enteignungsbann aufgehoben.

Mit der Abschreibung des  Gesamtdossiers «Westumfahrung Biel» wird auch der Zubringer rechtes Bielerseeufer (Porttunnel) Makulatur – obschon die Behördendelegation voraussichtlich beantragen wird, dieses Teilprojekt trotz allem zeitnah zu realisieren.

Bereits in der Vergangenheit hatte der Bund mehrfach betont, dass ein Vorziehen oder Auskoppeln von einzelnen Teilprojekten wie dem Porttunnel weder juristisch möglich noch sinnvoll sei. Daran dürfte sich in der Zwischenzeit nichts geändert haben. Dies nicht zuletzt, weil sowohl bei den eingeholten Gutachten sowie bei zahlreichen Einsprachen jeweils auf das Gesamtprojekt «Generelles Projekt Umfahrung Biel West mit Porttunnel» Bezug genommen wurde.

Die klare Rückmeldung aus dem Kanton Bern dürfte dem UVEK deshalb gelegen kommen. Sobald die Einsprechenden informiert und die umfangreichen Auflagepapiere archiviert sind, kann man sich beim Bund zurücklehnen. Denn jetzt ist der Ball wieder beim Kanton Bern: Während der Ausbau des Nationalstrassennetzes 2008 von den Kantonen an den Bund überging, liegt der Auftrag für die «Schliessung von Netzlücken» immer noch bei den Kantonen.

Wie dort die Prioritäten gesetzt werden, dürfte das UVEK kaum interessieren. Insbesondere, wenn es sich um eine für das nationale Mobilitätsnetz so unbedeutende «Lücke» handelt, wie jene in der Region Biel. Deshalb sollte man sich im Kanton Bern sehr gut überlegen, ob es wirklich Sinn macht, erneut Millionen in eine jahrzehntelange Autobahnplanung zu verlochen. Für ein neues aus der Zeit gefallenes Projekt, das voraussichtlich nie realisiert wird.

 

 


22. Dezember 2020:

Folge 5

DIE PROFITEURE

Rund 65 Millionen Franken Steuergelder wurden bis 2018 laut offiziellen Angaben in die Fehlplanung der Bieler Westast-Autobahn gesteckt (französisch «à fonds perdu», auf Englisch übersetzt: «without any chance of getting it back» und «has been granted with the intention to be lost»). Weitere 1,2 Millionen kostete der Dialog-Prozess, der mit einem Empfehlungsschreiben endet, das nebst hoffentlich griffigen Lenkungsmassnahmen weitere (unsinnige) Planungskosten in Millionenhöhe auslösen wird…

Das alles sei ein Butterbrot, gemessen an den 2,2 Milliarden, die der Bau der Westumfahrung gekostet hätte, tönt es von allen Seiten. Natürlich stimmt das. Dies darf aber kein Freipass für Vetterliwirtschaft sein und dafür, dass der Staat unser Geld mit vollen Händen für Dinge ausgibt, die es nicht braucht – oder für Planungs- und Consultingbüros, die überzahlt sind.

In diese Kategorie gehören zum Beispiel grosszügige Honorare an bereits mit einer stattlichen Pension ausgestattete ehemalige Staatsbeamte. So waren zum Beispiel für Hans Werder – pensionierter UVEK-Generalsekretär – für die Leitung des Westast-Dialogs ursprünglich CHF 80’000 budgetiert. Zu wenig. Bis Ende September 2020 betrugen die aufgelaufenen Kosten bereits über CHF 85’000.

Die dreisteste Offerte für sein Engagement im Dialogprozess hatte Verkehrsexperte Kobi eingereicht – auch er ehemaliger Chefbeamter in Pension. Er stellte seine, wenn auch schon etwas antiquierte Erfahrung zu einem Stundenansatz von CHF 235 zur Verfügung. Grosszügig gewährte er in seinem Budget einen Rabatt von 15% womit die Stunde nur noch CHF 200.—kostete. Bis Ende September 2020 waren ans Büro Kobi Zahlungen in der Höhe von über 92’000 erfolgt. Das Büro von Städtebauexperte Van de Wetering, der sich im Dialogprozess gleich mit einem Doppelmandat einbringen konnte, hatte zum gleichen Zeitpunkt dem Dialogprozess bereits gegen CHF 100’000 verrechnet.

Ein lukratives Mandat war der Dialogprozess aber auch für Hansjörg Ryser und Silvia Frutig, die mit dem Grossauftrag des Dialogprozesses (Sekretariat und Begleitung) gleich einen fetten Fisch zur Lancierung ihrer neuen Firma an Land ziehen konnten. Für das Mandat «Geschäftsführung, Administration, Unterstützung», das sie seit Sommer 2019 gemeinsam mit F+W Communications betreut haben, wurden bis Ende September 2020 rund CHF 165’000 in Rechnung – exklusive «Nebenkosten» wie Kommunikation, Übersetzungen etc.

Weit weniger ins Gewicht fielen die Sitzungsgelder für die Mitglieder der Kerngruppe sowie Zahlungen an die Interessensorganisationen für die Koordination. Doch auch hier flossen gegen CHF 100’000 an Sitzungsgeldern – obschon die meisten Mitglieder der Kerngruppe als FunktionärInnen oder Behördenvertreter ihre diesbezügliche Arbeitszeit auch ihrem Arbeitgeber verrechnen konnten – und weiterhin können.

Das Gleiche gilt für die Behörden- und VerbandsvertreterInnen in der Dialoggruppe: Sie kassierten von ihren Arbeit- und Auftraggebern selbstverständlich Honorare für ihren Aufwand. Die VertreterInnen der Basisorganisationen hingegen investierten – nicht nur während des Dialogprozesses – Stunden und Tage im Kampf gegen den Westast. Ohne einen einzigen Franken Entschädigung, einzig und allein im Sinne der Sache.

Ihr Lohn: ideelle Genugtuung und Erleichterung; das Westastmonster ist vom Tisch. Der bittere Nachgeschmack: Die Vetterliwirtschaft nimmt weiter ihren Lauf. Noch bevor die Schlussabrechnung für den Dialogprozess vorliegt, wissen wir: Hinter den Kulissen werden längst eifrig neue Päckli geschnürt, Posten zugehalten, Mandate vergeben.

So stellte Regierungsrat Christoph Neuhaus anlässlich der Medienkonferenz vom 17. Dezember in Aussicht, dass baldmöglichst nicht nur mit der Umsetzung von kurz- und mittelfristigen Massnahmen begonnen werden soll, sondern auch mit der Planung von Port- und Juratunnel…

«Zur Umsetzung dieser Entscheide hat die Behördendelegation beschlossen, im Januar 2021 eine übergeordnete Projektorganisation einzusetzen. (…) Im Weiteren soll eine Reflexionsgruppe bestehend aus den am Dialogprozess beteiligten Fachorganisationen und ‑verbänden gebildet werden (…) Dieses Gremium wird dabei von einer extern beauftragten Projektkoordination geleitet, welche auch die Geschäftsstelle und das Sekretariat der Organisation führt…». 

2020 war das Jahr, in dem das ganze Land dem Pflegepersonal für dessen schlecht vergüteten Einsatz an der Covid19-Front Applaus gespendet hat.

Für vergoldete Einsätze im Rahmen des Dialogprozesses und der Projektkoordination 2021 hingegen gibt es Buhrufe und Pfiffe. Weil dieses Geld anderswo besser und sinnvoller eingesetzt werden müsste. Gerade in Zeiten wie diesen…

 

 

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