Rück- und Ausblick 2017

 

2017 – EIN SCHICKSAHLSJAHR?

Die Region Biel blickt in Sachen Verkehrspolitik auf eine bewegte Zeit zurück. Zehn Jahre nach dem ersten Spatenstich wurde Ende Oktober die knapp 5 Kilometer lange, rund 1,2 Milliarden teure Autobahnstrecke des A5-Ostasts in Biel eröffnet. Dies, nachdem bereits im April das letzte Teilstück der Transjurane (A16) eingeweiht worden war, deren Bau 30 Jahre gedauert und über 6,5 Milliarden Franken gekostet hat.

Während des ganzen Jahres regelmässig für Schlagzeilen gesorgt hat in der Region aber ein Stück Autobahn, das noch gar nicht gebaut ist – und hoffentlich auch nie gebaut wird: Der A5-Westast.

Der Widerstand gegen das stadtzerstörerische und veraltete Projekt für die sogenannte A5-Westast-Autobahn durch Biel gewann im Lauf dieses Jahres an Bedeutung und wurde zu einem wichtigen politischen Faktor.

Heute besteht eine reelle Chance, dass die Umsetzung des aktuellen Ausführungsprojekts verhindert und eine stadtverträgliche Lösung gefunden werden kann. Dies, weil immer mehr Menschen bewusst geworden ist, wie sehr dieses Autobahnprojekt die Lebensqualität in der Region bedroht.

So schrieb etwa Michel Leyvraz in seinem Leserbrief, der am 25. Januar 2017 im Bieler Tagblatt publiziert wurde:

 

EIN RÜCKBLICK:

BOHRUNGEN: Bei Schnee und Kälte sind Anfang Januar die Vorarbeiten für die A5-Westastautobahn in vollem Gang: Im Garten des Centre Müller am Wydenauweg 34 werden noch einmal Bodenproben genommen. Kommt die Autobahn, muss das Museum der Baustelle weichen.

MITWIRKUNG: Bereits im Januar und Februar waren die EinwohnerInnen von Biel und Nidau aufgefordert, im Rahmen des Mitwirkungsverfahrens zur sogenannten «städtebaulichen Begleitplanung» ihre Anregungen und Einwände zu den Planungsvorschläge der Städte rund um den Westast zu äussern. Unter dem Motto «Gemeinsames Mitwirken» trafen sich Westast-KritikerInnen zweimal im Centre Müller, um anschliessend ihre Eingaben an die Städte zu verfassen. Laut Behörden gingen bis zum Ablauf der Frist Mitte März rund 300 Stellungnahmen ein. Bis heute wartet die Öffentlichkeit jedoch auf eine Auswertung des Verfahrens… 

INTERPELLATION: In seiner Antwort auf die Interpellation von Evi Allemann (SP) im Nationalrat, die eine nochmalige Überprüfung des A5-Westastprojekts verlangte, stellt Bundesbern anfangs März klar: Das UVEK ist nicht bereit, noch einmal über die Bücher zu gehen, da bereits rund 50 Millionen Franken für die Projektplanung ausgegeben worden seien. Ins gleiche Horn stösst der Kantons Bern auf den gleich lautenden, von Daphné Rüfenacht (Grüne) im Bernischen Grossen Rat eingereichten, Vorstoss.

PLANAUFLAGE: Vom 18. April bis zum 23. Mai wurde das Ausführungsprojekt zum A5-Westast öffentlich aufgelegt. Während dieser Zeit konnte die betroffene Bevölkerung Einsprache gegen das Projekt erheben .

Was auffiel: Die Aussteckungen, ein wichtiges Element der Planauflage, waren sehr rudimentär, manche Markierungen kaum sichtbar.

Ergänzt wurden sie mit beschönigenden Visualisierungen. So zum Beispiel beim Strandboden, wo suggeriert wurde, dass der Bootsverleih Neptun auch nach Vollendung des Westasts weiter bestehen könne – obschon er in Tat und Wahrheit abgerissen würde. Gegen dieses Vorgehen der Behörden reichten mehrere Organisationen und Private Beschwerden ein. – Diese sind nach wie vor hängig.

BLACHEN: Der Widerstand wird sichtbar: Immer mehr Blachen tauchen auf – an Hauswänden, Gartenzäunen, Wäscheleinen…

EINSPRACHEN: Gegen das Ausführungsprojekt des A5-Westasts gingen beim UVEK schliesslich bis Ende Mai über 650 Einsprachen ein – inklusive die Beschwerden betreffend Aussteckungen sowie Einsprachen von Umwelt- und Schutzverbänden wie VCS, Landschaftsschutz Schweiz oder dem Heimatschutz. Aber auch die Städte Biel und Nidau reichten dicke Dossiers ein, in denen sie Projektverbesserungen zugunsten der Städte verlangten.

Das UVEK sortierte die Eingaben während der Sommermonate und übergab die Einsprachen im Spätherbst zur Stellungnahme an die Bauherrschaft, den Kanton Bern. Nebst dem Bauherrn werden in den kommenden Monaten auch die betroffenen Bundesämter Stellung nehmen, anschliessend kommt es zu Einspracheverhandlungen – führen diese zu keiner Einigung, kann der UVEK-Entscheid ans Verwaltungs- und in letzter Instanz ans Bundesgericht weitergezogen werden.

EINSCHÄTZUNGMitte April nahm der international renommierte Verkehrsexperte Hermann Knoflacher zum A5-Westastprojekt Stellung. Das Urteil des unabhängigen Wiener Professors im viel zitierten Interview vom 24. April war vernichtend: «Das Projekt folgt einem falschen Systemverständnis. Die Eigendynamik des Autoverkehrs bestimmt das Handeln der Techniker und nicht die Techniker die Eigendynamik. Offensichtlich hat man in diesem Fall auf qualifizierte Fachleute verzichtet, um diese Art von Verkehrsproblemen zu lösen. Obwohl es in der Schweiz durchaus renommierte Fachleute und gut gelöste Beispiele gibt.» 

 

FLASHMOB: Am 20. Mai das Top-Ereignis des Frühjahrs! Dem Aufruf zum «Velo-Alarm für unsere Stadt Biel – Stopp Westast!» folgten über 1200 BürgerInnen – erwartet hatten Polizei und Veranstalterin maximal 200 bis 400 Personen…

Gross und Klein versammelte sich am Vormittag auf dem Neumarktplatz, um von dort aus mit lautem Klingeln Richtung See und zurück radelnd ein Zeichen gegen die geplante Stadtzerstörung zu setzen.  Ein fröhlicher, friedlicher und ermutigender Anlass, engagiert unterstützt durch die Polizei, welche die Fahrbahn für die Demonstrierenden sicherte.

 

 

BAUMAKTIONEN: Laut offiziellen Angaben würden dem A5-Westast mindestens 745 Stadtbäume zum Opfer fallen. Im Rahmen der Aussteckung verpassten es die Behörden, diese Bäume ordnungsgemäss zu markieren. Deshalb schritten mutige BürgerInnen selber zur Tat. Ausgerüstet mit den notwendigen Plänen sowie mit Plakaten und Leitern markierten sie die bedrohten Bäume am Abend des 16. Juni ein erstes Mal. – Leider liessen die Behörden bereits wenige Tage später die Markierungen entfernen. Gross war der Aufschrei – und der Wunsch, gleich nochmals nachzudoppeln. Denn vielen wurde erst durch diese Aktion bewusst, was auf dem Spiel steht…

Gewünscht, getan: Pünktlich zur Braderie waren die Bäume erneut markiert! Während die leuchtend gelben Markierungen diesmal in Nidau hängen blieben, musste in Biel die Polizei erneut ausrücken. Trotzdem hinterliessen die Baumaktionen dauerhaft Spuren…

EINLADUNG: ErstklässlerInnen fertigten Zeichnungen für Doris Leuthard, um sie darauf aufmerksam zu machen, dass der Westast die Freiräume und die Zukunft der jungen BielerInnen bedroht. Die oberste Chefin des UVEK und somit der Autobahnen erhielt im Sommer zudem über hundert Einladungen mit Doris-Sondermarken zu einem ungezwungenen Augenschein in Biel bei Kaffee und Kuchen. Damit die betroffene Bevölkerung, die nie über das Westast-Projekt abstimmen, geschweige denn mitreden konnte, ihre Anliegen und Sorgen betreffend das Autobahn-Projekt direkt  der Magistratin unterbreiten kann. – Leider sagte die Bundesrätin schliesslich auf Anraten ihrer JuristInnen ab. Allerdings verzichtete sie nicht nur auf Kaffee und Kuchen, sondern auch auf die Eröffnungsfeier für den A5-Ostast, die am 27. Oktober ohne die Bundespräsidentin über die Bühne ging.

DEMO: Am Samstag, 23. September 2017 demonstrierten in Biel über 3500 Menschen gegen die geplante Westast-Autobahn. Seit Jahrzehnten hatte Biel keine derartige Demo mehr erlebt. Unter dem Motto «Biel wird laut» protestierten Jung und Alt gegen das Projekt – unter Ihnen auch der Gymnasiast und Schülerratspräsident Martín Zingg, der klar und deutlich sagte: «Wir wollen mitreden!» Der Druck von der Strasse, wohl in Kombination mit den Wahlen in Nidau, führte dazu, dass der Bieler Stadtpräsident erstmals von seiner Diskussionsverweigerung abgewichen ist und versprach, er würde «den zuständigen Stellen beim Bund und Kanton alternative Lösungsvorschläge zur Prüfung weiterzuleiten, wenn mit diesen die gleichen verkehrlichen Wirkungen erzielt werden können.»

LENKEN STATT BAUEN: Klaus, Zweibrücken, Professor für Verkehrsplanung an der Hochschule Rapperswil sagte im Interview zur geplanten Westast-Autobahn deutsch und deutlich: «Was wir in Biel aktuell sehen, ist der Infrastruktur-Ansatz, wo man versucht, mit Strassenausbauten Probleme zu lösen. Dieser Ansatz ist eigentlich längst gescheitert: Seit 50 Jahren bauen wir Strassen und haben damit keine Strassenverkehrsprobleme gelöst. Im Gegenteil, diese Probleme sind immer grösser geworden, weil jede Strasse ja auch wieder neuen Verkehr erzeugt.. Und einen Anreiz schafft, das Auto zu benutzen.»

PETITION: Nebst Einladungen zu Kaffee und Kuchen erhielten Bundespräsidentin Leuthard und ihre BundesratskollegInnen auch eine Petition, die den sofortigen Unterbruch des Projekts forderte. Während der Sommermonate wurden fleissig Unterschriften gesammelt – schliesslich konnten dem UVEK im Oktober über 10’000 Unterschriften überreicht werden,  just am Tag der Ostast-Eröffnung. 

RUNDER TISCH: In einem vielbeachteten Interview forderte der bekannte Bieler Architekt und Raumplaner Kurt Rohner, dass die Zeit bis zum Einsprache-Entscheid kreativ genutzt werde: Alle vorliegenden Varianten – vom offiziellen Projekt bis zum Verzicht auf neue Strassen – sollen eindlich einmal wirklich diskutiert werden. An einem runden Tisch, mit neutraler Moderation. Rohner bringt selber gleich zwei Varianten ins Spiel: die sogenannte «kleine Seelandtangente» sowie einen zweistöckigen Boulevard am Strandboden.

MUSEUMS-FEST: Am Samstag, 28. Oktober lud das Maschinenmuseum Müller zum Tag der offenen Tür. Die eindrücklichen Maschinen aus den Anfängen der Industrialisierung und ein vielseitiges Programm lockten Gäste aus Nah und Fern. Alle waren sich einig: Es wäre eine Schande, müsste das einmalige Museum tatsächlich der geplanten Westast-Autobahn weichen! In einer Petition an den Bieler Gemeinderat forderten die BesucherInnen, dass dies nicht geschehen dürfe. 

TUNNEL-ALTERNATIVE: Am 7. November präsentierte die Städtebaugruppe des Komitees «Westast so nicht!» ihre Alternative zum offiziellen Projekt: Ein Autobahntunnel ohne innerstädtische Ausfahrten, der weniger koste, weniger Risiken biete und schneller gebaut werden könne. Anlässlich der Präsentation der Variante «Westast so besser!» erntete das Projekt viel Zustimmung, obschon es nach wie vor der «alten Logik» des Strassenbaus folgt und nach wie vor keine zeitgemässen Verkehrslösungen bietet. – Die Befürworter des offiziellen Projekts forderten in der Folge mit Vorstössen in den Stadtparlamenten von Biel und Nidau sowie im Grossen Rat einen «Faktencheck». Das Komitee «Westast so nicht!» unterstützt diese Forderung und verlangt von den Behörden «transparente Vergleichskriterien.» 

ENTWARNUNG: Mitte Dezember, zwei Monate nach der Eröffnung des A5-Ostasts, wird eine erste Bilanz gezogen: Das befürchtete Verkehrschaos ist ausgeblieben, die neuen Verbindungen funktioneren, der Verkehr fliesst. Mit Hilfe von zielgerichteten Lenkungsmassnahmen kann auch der neu aufgekommene Schleichverkehr in den Agglomerationsgemeinden unterbunden werden. Nun gilt es, die gute Situation langfristig zu sichern –ebenfalls mit Lenkungsmassnahmen. Die aktuelle Entwicklung zeigt: Die Ostast-Autobahn reicht – es braucht keinen Westast..

FAZITEnde 2017 stehen die Chancen besser denn je, dass das wahnwitzige Ausführungsprojekt für die A5-Autobahn mitten durch Biel und Nidau nie umgesetzt wird. Allerdings ist der Weg bis zu einem endgültigen Übungsabbruch noch lang. Für’s kommende Jahr heisst das: Dranbleiben und weiterkämpfen – für eine zukunftsfähige, innovative Verkehrspolitik in der Region Biel und darüber hinaus.

 

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