Seelandtangente 2022

HAT DIE SEELANDTANGENTE EINE CHANCE?

Die Medienmitteilung, die nach der Sitzung der «Behördendelegation espace Biel/Bienne.Nidau» vom 1. März 2022 verschickt wurde, enthielt wenig Neues und kaum Konkretes. Offenbar geht es im Moment einzig darum, Grundlagen zu erarbeiten, als Basis für die Grundlage weiterer Grundlagen…

Ein Punkt allerdings liess aufhorchen: Nach dem grünen Licht für die Erarbeitung eines «Vorgehenskonzepts für die Umsetzung der mittelfristigen Massnahmen zur Achse Brüggmoos-Neuenburgstrasse» und für eine Studie zur Überprüfung der Datenbasis für das längst geforderte Monitoring und Controlling, hat die Behördendelegation zu guter Letzt beschlossen:

«Schliesslich wird auch die Bewilligungsfähigkeit einer Seelandtangente mit einer externen Studie überprüft. Die Arbeiten zu den Vorgehenskonzepten für den Porttunnel oder die langfristige Lösung folgen nach dieser Prüfung.»

Die gute Nachricht: Die breite Kritik am forschen Vorpreschen auf einen Juratunnel als alleinige Option für eine «langfristige Lösung» hat Früchte getragen: Während Baudirektor Neuhaus und die Autobahnturbos in den bisherigen Dokumenten einen Juratunnel mit Anschluss in die Stadtmitte ständig im Mund führten, hat nun plötzlich eine neue Sprachregelung den Begriff «Juratunnel» (vorläufig) aus dem Vokabular gestrichen.

Stattdessen taucht urplötzlich die im Rahmen der Autobahnvariantendiskussion tief im Bielersee versenkte Seelandtangente wieder auf, indem eine «externe Studie» die «Bewilligungsfähigkeit der Seelandtangente» untersuchen soll. Was heisst das genau?

Sowohl Stadtpräsident Erich Fehr wie auch Regierungsrat Neuhaus haben in der Vergangenheit die Seelandtangente wiederholt für «tot» erklärt – da kommt schon der Verdacht auf, dass man die ungeliebte Option Seelandtangente nun nochmals und zwar für ewige Zeiten eliminieren will, um anschliessend wie geplant den gewünschten Juratunnel durchzubohren…

Die IG Häb Sorg zur Stadt wollte es genauer wissen und hat nachgefragt. Und letzte Woche vom Sekretariat der Dialog-Nachfolgeorganisation «Espace Biel/Bienne.Nidau» folgende Antwort erhalten:

«Für die Seelandtangente sollen auf Basis der Empfehlungen aus dem Dialogprozess Westast

  • die verkehrlichen und räumlichen Vor- und Nachteile im Kontext der Abstimmung Siedlungsentwicklung und Verkehr gegenüber einer Führung der Nationalstrasse am Jurasüdfuss aufgezeigt werden
  • die Bewilligungsfähigkeit bezüglich verschiedener Gesetzgebungen (Raumplanung, Umwelt, Landschaftsschutz etc.) beurteilt werden 
  • das planrechtliche und zeitliche Vorgehen und die finanziellen Konsequenzen aufgezeigt und berücksichtigt werden, im Falle, dass eine Seelandtangente weiterverfolgt wird.
  • Mit dieser Arbeit soll die Firma Transitec (zusammen mit der Firma Urbanplan) beauftragt werden. Die Projektkommission espace Biel/Bienne.Nidau hat eine Begleitgruppe mit Thomas Berz, Hans Klöti und dem Oberingenieurkreis III (Claudia Christiani) eingesetzt. Der Bericht soll am 30. Mai der Behördendelegation und am 4. Juli der Reflexionsgruppe vorgestellt werden.»

Viel Zeit bleibt also nicht für die Erarbeitung der Studie, soll doch der fertige Bericht mit Antworten auf alle oben genannten Fragen bereits Ende Mai 2022 vorliegen. Wie fundierte Abklärungen sind in diesem Zeitraum möglich?

Es ist nicht das erste Mal, dass die Firma Transitec vom Kanton Bern mit Studien rund um den Westast und die Nachfolgeplanung beauftragt wird. Bereits Anfang 2020 hatte sie einen «Beschrieb der Stossrichtungen» entworfen – der allerdings mager ausfiel und sogar von der Kerngruppe des Dialogprozesses stark kritisiert wurde. Bei der Stossrichtung «Seelandtangente» etwa stützten sich die Autor:innen einzig und allein auf Publikationen der IG Häb Sorg zur Stadt und des Komitees Westast so nicht. Von eigenen Recherchen und vertieften, weiterführenden Betrachtungen keine Spur.

Transitec kam bereits damals zum Schluss, dass die Seelandtangente nicht «Netzbeschluss-konform» sei, was eine Änderung des Netzbeschlusses nötig machen würde, «da die A5 südlich statt nördlich des Sees verlaufen würde.» Auftrag erfüllt – ganz im Sinne der auftraggebenden Behörden, die eine Seelandtangente gar nie ernsthaft in Erwägung ziehen wollten. 

Der Netzbeschluss kann aber durchaus anders als von Transitec ausgelegt werden, wie die Antwort des Bundesrats auf eine Motion der Grünen Nationalrätin Aline Trede zeigt. In seiner Stellungnahme vom 12. Februar 2020 schreibt er: «Der Bundesbeschluss über das Nationalstrassennetz bildet im Raum Biel/nördliches Bielerseeufer in Bezug auf Lage und Ausbaustandard die heute bestehenden Nationalstrassenverbindungen ab. Er trifft jedoch weder Festlegungen zum künftigen Ausbaustandard noch zur exakten Linienführung der Verbindungen zwischen den im Netzbeschluss genannten Orten.»

Auch der langjährige Regionalplaner Kurt Rohner plädiert für eine pragmatische Auslegung des Netzbeschlusses. Er hofft, dass die aktualisierte Studie das Potenzial seines Vorschlags erkennt und so eine vertiefte Prüfung ermöglicht. «Ob Thielle über das linke oder rechte Bielerseeufer angeschlossen wird, spielt letztendlich keine Rolle», sagt er. Sein Vorschlag, die Verbindung der dringend notwendigen Bodenverbesserungen im Grossen Moos mit dem Bau einer unterirdischen Seelandtangente zu verbinden, würde mehrere Probleme auf einen Streich lösen, ist er überzeugt. So etwa auch die umstrittene, vom Kanton bewilligte und beförderte Ausbeutung der Kiesgrube in Walperswil: «Man könnte das Aushub-Material für den Tunnelbau vor Ort einsetzen und müsste es nicht mit Lastwagen durch die Dörfer transportieren.»

Dass die Vor- und Nachteile einer Seelandtangente diesmal wirklich ergebnisoffen geprüft und untersucht werden, muss angesichts der Ausgangslage bezweifelt werden. Umso wichtiger ist es, dass alle Beteiligten und die Öffentlichkeit genau hinschauen. Eine blosse Alibi-Studie, um den Weg frei zu machen für Port- und Juratunnel, ist reine Geld- und Zeitverschwendung.

Was auch immer mit dieser Studie bezweckt werden soll und egal was dabei herauskommt: Jetzt geht es in erster Linie darum, endlich Gas zu geben mit den kurz- und mittelfristigen Massnahmen. Werden diese nämlich konsequent, zügig und mit der nötigen Sorgfalt umgesetzt, erübrigt sich der Bau eines Autobahntunnels als sogenannt «langfristige Lösung ».

 

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