Verwüstung in Raten

Ein Herbstspaziergang, der nachdenklich stimmt: Schon bald soll der schöne Rebhang von Wingreis zur Baustelle mutieren, das Ostportal des Twanntunnels wird anschliessend die Landschaft dauerhaft verschandeln.

Die goldleuchtende Pracht ist dann genauso Geschichte, wie der köstliche Wein dieser Trauben. Darüber hinaus droht dem schmucken Haus von Annemarie Und Ronald Wüthrich der Abbruchhammer – für die Erstellung eines Bauinstallationsplatzes!
 
 
Ein Skandal – vor allem auch, wenn man bedenkt, dass die Reblandschaft am Nordufer des Bielersees zu den ältesten geschützten Landschaften der Schweiz gehört. Bereits 1933 gründeten weitsichtige Menschen den Verein Bielerseeschutz (VBS) mit dem Ziel, das einmalige Natur- und Kulturerbe der Bielerseeregion nachhaltig zu schützen.
 
 
Einiges ist gelungen. Allerdings konnte der Verein den schlimmsten «Sündenfall» – den Ausbau von Strasse und Bahn entlang dem engen Nordufer in den 1970er Jahren – nicht verhindern. Im vom VBS herausgegebenen Bielerseebuch 1973 bedauern die Verantwortlichen denn auch, dass ihr Kampf gegen diese zerstörerische Verkehrsinfrastruktur damals vergebens war – und haben trotzdem noch Hoffnung:
 
«Obwohl es heute müssig ist, über die Richtigkeit des Grundsatzentscheides zu diskutieren, ob vor allem der Ausbau der linksufrigen Seestrasse richtig gewesen sei oder nicht: die hiesige Bevölkerung, die die Landschaft vor dem Eingriffe gekannt hat, wird noch lange die schweren Narben nicht ohne Erbitterung oder bestenfalls Resignation betrachten können.» (…)
 
 
«Warum hat der VBS diese Bauten nicht verhindert? Unnötig zu sagen: er hätte es noch so gern getan, allein es fehlten die Möglichkeiten. Möglich blieb nur, mit den zuständigen Planungsinstanzen über die «Schadensminderung» zu sprechen, Begehren anzubringen, Wünsche anzumelden. Bevor eine fruchtbare Zusammenarbeit zustande kam, stand jedoch bereits in Alfermée die von den SBB errichtete Stützmauer, die von der Bevölkerung den träfen Namen «Schandmauer» erhalten hat. Seither hat sich indessen zwischen dem Autobahnamt und auch den SBB einerseits, den Gemeinden und dem VBS andererseits eine Zusammenarbeit angebahnt, in der versucht wird, das Landschaftsbild bei der Verwirklichung er beschlossenen Bauten so wenig wie möglich zu beeinträchtigen. Auch so bleiben die Narben schwer und hässlich genug, und es bleibt nur die Hoffnung, eine gütige Natur werde den Sünden unserer Zeit in Zukunft eine gewisse Patina angedeihen lassen.
 
Was bringt die Zukunft? Niemand kann es wissen. Die Aufgaben des VBS werden vermutlich wachsen statt schwinden. An Arbeit wird’s nicht fehlen. Oberstes Ziel bleibt, den Bielersee und seine Umgebung so zu erhalten und so zu gestalten, dass die Bevölkerung Freude daran haben kann, und diesen Quell der Freude der Bevölkerung auch zugänglich zu machen.»
 
 
50 Jahre später wissen wir: Keine Patina kaschiert die Bausünden entlang dem Bielersee Nordufer. Im Gegenteil: Es ist immer noch schlimmer geworden – die aktuellen Baustellen zur Sicherung von Strasse und Bahnlinie tragen nichts zur Verschönerung der Landschaft bei. Im Gegenteil.
 
Und es geht immer weiter, mit der Zerstörung: Noch bevor das Ostportal des Twanntunnels für Verwüstung sorgen wird, verschwindet ein weiteres Stück Naturlandschaft. Es wird dem Bau des Ligerz-SBB-Tunnels, resp. dessen Ostportal geopfert: Die bunte Herbstpracht oberhalb der Fischereianstalt zwischen Ligerz und Twann wird vermutlich schon im nächsten Jahr durch Betonwände verdrängt.
 
 
Muss es, darf es immer so weitergehen?

Vertreibung und Zerstörung

Der nun behördlich bewilligte Bau des Tunnel-Ostportals in unmittelbarer Nähe des denkmalgeschützten Weilers Wingreis belastet eine ganze Region. Die geplante Verlängerung des Ligerztunnels dient einzig den Interessen des Transitverkehrs und einigen Wenigen im Dorfzentrum von Twann. Die Mehrzahl der Bewohnerinnen und Bewohner der Gemeinde Twann-Tüscherz werden weiterhin unter Verkehrslärm und Abgasen leiden – vermutlich in Zukunft noch stärker als bisher.

Vor allem werden dem Twanntunnel aber auch eine Reihe von Liegenschaften sowie Rebberge und eine einmalige Naturlandschaft geopfert. Ein weiterer unsäglicher Eingriff in das älteste Landschaftsschutzgebiet der Schweiz…

Am schlimmsten trifft es Annemarie und Ronald Wüthrich aus Wingreis: Laut den Plänen der Strassenbauer von Bund und Kanton soll ihr Daheim dem Baustellen-Installationsplatz geopfert werden. Vorgesehen ist, dass anstelle des Hauses am Eingang zum Weiler Wingreis ein Parkplatz für die Bauarbeiter errichtet werden soll. 

Ein Schock für den pensionierten Polizeibeamten und seine Frau, die als Tagesmutter Kinder aus dem Dorf betreut. Von der bevorstehenden Vertreibung haben sie erstmals anlässlich der Planauflage vor zwei Jahren erfahren. Eine Hiobsbotschaft, deren Wirkung nicht nachlässt: Das Damoklesschwert der drohenden Enteignung und Entwurzelung trübt seither ihren Alltag.

Wüthrichs haben das Haus mit Baujahr 1947 vor vierzehn Jahren gekauft. Gleich nach ihrem Einzug mussten sie das Dach erneuern, seither haben sie die gesamte Liegenschaft gemeinsam mit ihren Söhnen Schritt für Schritt saniert. Das taten sie nicht nur mit viel Engagement und Herzblut – sie haben auch einiges an Geld in ihr Daheim gesteckt.

Eigentlich wollten sie schon lange die Wände isolieren, sagt Ronald Wüthrich. Doch dieses Projekt ist gestoppt: Die Liegenschaft steht seit Jahren unter Enteignungsbann, da empfiehlt es sich nicht, weiter zu investieren.

Ronald und Annemarie Wüthrich wollten sich aber nicht einfach vertreiben lassen. Zu viel verbindet sie mit ihrem Haus und Garten, zuviel mit der Gemeinde Twann, wo sie schon so lange leben. Der dumme Spruch eines Beamten, der sagte, sie sollten die erzwungene Vertreibung als Chance für einen Neuanfang verstehen, zeugt dabei von blankem Zynismus.

In ihrem Kampf für die Rettung des Hauses stehen Wüthrichs nicht allein. Sogar die Gemeinde Twann-Tüscherz plädierte im Rahmen des Einspracheverfahrens für einen Verzicht auf die Zerstörung von Wüthrichs Haus. Davon wollte das Bundesamt für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK jedoch nichts wissen – genauso wie die Einsprache der Wüthrichs wurde auch jene der Gemeinde mit fadenscheinigen Begründungen abgewiesen.

Ronald und Annemarie Wüthrich zogen diesen Entscheid, wie eine Handvoll weiterer Einsprechender aus Wingreis und Twann, ans Bundesverwaltungsgericht weiter. Diese wurden nun jedoch abgeschmettert – die Kraft und Mittel für einen Weiterzug des  Entscheids ans Bundesgericht fehlten. Anfang Oktober verkündete die Bau- und Verkehrsdirektion denn auch in ihrer Medienmitteilung in grossen Lettern: «Twanntunnel kann gebaut werden».

Noch sind die Bagger nicht aufgefahren…

Leserbrief im Bieler Tagblatt vom 26. Oktoer 2023:

 

NACH DEM AUFATMEN DAS DEFINITIVE AUS

Die Lage ist einmalig: Keine fünf Minuten zu Fuss zum Bahnhof – Schulen, Einkaufszentren und sogar die beiden Stadtzentren von Biel und Nidau in Gehdistanz. Einst stand hier – gegenüber vom Schlachthof – das legendäre Restaurant Schönegg mit seinem lauschigen Biergarten, dem Pavillon und dem Badhaus an der Madretschschüss. Heute wundern sich Passantinnen und Passanten über die verwilderte Brache, eine klaffende Lücke mitten in der Stadt.

Als Angelo und Daniele de Falcis vor bald zwanzig Jahren das leergeräumte Grundstück erwarben, waren die guten Zeiten des Schönegg längst Geschichte. Das heruntergekommene Restaurant, das sich zum Schluss noch als angesagter Jugendtreff grosser Beliebtheit erfreut hatte, wurde samt den Nebengebäuden im Herbst 2003 plattgemacht, um einer rentablen Neuüberbauung Platz zu machen: Auf der gut 3000 Quadratmeter grossen Parzelle mit der Nummer 5376 plante Roth Immobilien bereits Ende der 1990er Jahre im Auftrag der Gassmann Media SA zwei Wohnblöcke und ein Geschäftshaus. Vater und Sohn De Falcis, Inhaber einer mechanischen Werkstätte im Lindenquartier, kauften die Liegenschaft 2004 mitsamt dem bewilligten Bauprojekt in der Annahme, damit ein sicheres Investment in ihre Altersvorsorge getätigt zu haben.

Eine Hoffnung, die sich schon bald zerschlug: Bereits kurz nach der Unterzeichnung des Kaufvertrags tauchten Gerüchte auf, dass das Bauprojekt möglicherweise vom Westast-Autobahnprojekt mit innerstädtischem Anschluss beim Bahnhof Biel beeinträchtigt werden könnte. Das war der Anfang der unglaublichen Geschichte, die uns Daniele De Falcis an einem Novembermorgen im Jahr 2021 in seiner Werkstatt erzählt. Auf dem Tisch liegt ein dickes Dossier, das 15 Jahre Hinhaltetaktik und behördliche Arroganz dokumentiert.

Falsche Versprechungen
Er und sein Vater – tüchtige Kleinunternehmer – hatten nach einem geeigneten Immobilienprojekt gesucht, um ihre Altersvorsorge auf eine sichere Basis zu stellen. Für den Kauf der Schönegg-Liegenschaft hatten sie ihr ganzes Vermögen zusammengelegt und alles auf eine Karte gesetzt. Statt des erhofften Einkommens hat die Investition bisher jedoch bloss Kosten und Ärger verursacht. Mehr noch: Die Frage, ob er für die jahrelange, behördlich verordnete  Blockade eine Entschädigung erhalten habe, ruft bei Daniele de Falcis bloss ein müdes Lächeln hervor: «Das Gegenteil ist der Fall: Ich habe Jahr für Jahr für das nutzlos gewordene Grundstück Liegenschaftssteuer bezahlt. – Im letzten Jahr hat sich der Steuerbetrag gar noch verdoppelt…»

Doch beginnen wir von vorne: Das erste Schreiben, das Daniele De Falcis aus dem Stapel herauszieht, datiert vom 30. September 2004. Darin bestätigt das Bieler Amt für Stadtplanung die Gültigkeit der bereits 1999 erteilten und bis zum 10. Oktober 2003 verlängerten Baubewilligung gegenüber den künftigen neuen Besitzern erstmals schriftlich. Aufgrund von Artikel 42 des kantonalen Baugesetzes, so der Brief weiter, müssten die Bauarbeiten nach der Handänderung spätestens bis zum 15. November 2004 wieder aufgenommen werden. Basierend auf diese schriftliche Absicherung, unterzeichneten De Falcis Anfang November 2004 den Kaufvertrag und leiteten umgehend die Bauarbeiten ein. 

Um aber ganz sicher zu gehen, dass sie ihr Projekt wirklich umsetzen können, suchten Daniele De Falcis und sein Vater auch noch das Gespräch mit dem Tiefbauamt des Kantons Bern. Im Dezember 2004 traf man sich im A5-Pavillion in der Seevorstadt, der damals noch im Bau war. «Ich habe den Anwesenden vier Fragen gestellt und auf jede eine klare Antwort erhalten: 1. Wird die Strasse offen oder unterirdisch geführt? Die Antwort lautete: unterirdisch. 2. Sind die Ausfahrten in der Nähe meines Grundstücks? Antwort: Nein, die Distanz zu Ihrem Bauprojekt ist so gross, dass der Kanton Bern nichts gegen das Projekt einzuwenden hat. 3. Könnte unser Projekt blockiert werden? Antwort: Nein. 4. Müssen wir mit einer Enteignung rechnen? Antwort: Nein.»

Als auch drei Wochen nach diesem Gespräch die verlangte schriftliche Bestätigung der Behördenaussagen ausblieb, hakte der Anwalt von De Falcis beim Tiefbauamt in Bern nach und liess sich vom zuständigen Beamten die oben erwähnten Punkte bestätigen. Dokumentiert ist dies in einem Schreiben vom 21. Januar 2005, mit Hinweis auf einen Plan, der die damals präferierte Linienführung der künftigen Autobahn zeigt, die das Schönegg-Grundstück nicht tangiert hätte. Es sollte aber anders kommen: «Sieben Jahre nach unserem Gespräch mit dem Tiefbauamt hatte sich alles, was man uns damals versichert hatte, ins Gegenteil verkehrt», fasst De Falcis zusammen.

Hinhaltetechnik ohne Ende
Doch im Jahr 2005 vertrauten Vater und Sohn De Falcis noch auf die Bestätigung der Behörden, die Bauarbeiten wurden daher in Angriff genommen. Die Tiefgarage mit 30 Parkplätzen war bereits fertiggestellt, als ein Anruf des damaligen Bieler Stadtplaners François Kuonen für erneute Verunsicherung sorgte. Am Telefon habe dieser von der Möglichkeit einer künftigen Enteignung gesprochen, erinnert sich Daniele De Falcis, weil neuerdings eine veränderte Streckenführung der Autobahn zur Debatte stehe, weshalb er im Moment dringend davon abrate, weitere Investitionen auf der Parzelle 5376 zu tätigen.

Daniele De Falcis ist ein liebenswürdiger Mensch – verständnisvoll und geduldig. «Monsieur Kuonen hat damals richtig gehandelt. Er wollte uns warnen, damit wir unser Geld nicht in den Sand setzen», nimmt er den ehemaligen Chefbeamten heute noch in Schutz. In der Folge habe es noch zahlreiche weitere Gespräche mit Kuonen geben. Eine schriftliche Aufforderung, die Bauarbeiten zu unterbrechen oder gar ein offizieller Baustopp waren aber nie ein Thema. Im Gegenteil: Die Stadt Biel hat die Baubewilligung «aus wichtigen Gründen im Zusammenhang mit der Planungsverzögerung des Autobahnanschlusses Bienne-Centre» noch zweimal verlängert, zuerst bis Ende Juli 2009 und schliesslich gar bis zum 31. Juli 2010.

Zu diesem Zeitpunkt war allerdings längst klar: Zumindest die beiden geplanten Wohnblöcke konnten vernünftigerweise nicht mehr gebaut werden. «Von den Balkonen hätte man einen direkten Blick auf die achtspurige Autobahnschneise gehabt – wer will schon an so einem Ort wohnen – mit all dem Lärm und Gestank? Diese Wohnungen hätte man weder vermieten noch verkaufen können!» begründet De Falcis seinen damaligen Entscheid, die Bauarbeiten vollständig einzustellen.

Statt dem erhofften Einkommen aus der Liegenschaft haben sich die De Falcis nur Kosten eingehandelt. Wegen der laufender Änderungen in der Autobahn-Planung war es während Jahren unmöglich, ein neues Projekt aufzusetzen. Lange Zeit sah es danach aus, als ob die Grundeigentümer für den Bau des Westasts sogar gänzlich enteignet würden. Doch es kam noch schlimmer: 2016 lag endlich das Ausführungsprojekt vor, für dessen Umsetzung genau 538 Quadratmeter der Parzelle 5673 enteignet werden sollten – auf den restlichen 2’500 Quadratmetern direkt an der Autobahnschneise gelegen wären De Falcis sitzen geblieben. «Diese Investition ist für uns ein völliger Verlust», klagte Daniele De Falcis damals zu Recht.

Die Hinhaltetaktik durch die Stadt Biel hatte selbstverständlich einen plausiblen Grund und kommt einem juristischen Trick gleich: Ohne offiziellen Baustopp von Seiten der Behörden lag die Verantwortung fürs Einstellen der Arbeiten einzig und allein bei den De Falcis. Und folglich hatten sie kein Recht ihren unbestreitbaren Schaden einzuklagen. Obschon ihr Projekt also aufgrund der laufend abgeänderten Westastplanung nicht mehr umsetzbar war, blieb der Schwarze Peter bei ihnen hängen. «Niemand wollte Verantwortung übernehmen: Bei der Stadt verwies man uns an den Kanton, der bei der Autobahnplanung die Federführung hatte, beim Kanton riet man uns, das Gespräch mit der Stadt zu suchen», bringt De Falcis das Dilemma auf den Punkt.

Kosten statt Nutzen
Aufgeben war für ihn und seinen Vater jedoch keine Option. Als nicht mehr ans Weiterbauen zu denken war, wollte er wenigstens die Parkplätze in der Tiefgarage vermieten. Dies wurde jedoch wegen fehlender Brandschutzeinrichtungen untersagt. Um die Brache, in deren Mitte die Tiefgarage mit der Zeit zur Bauruine mutierte, nicht vergammeln zu lassen, investierte De Falcis sogar erneut und liess Olivenbäume pflanzen. Doch auch dieses Unterfangen stand unter keinem guten Stern: Die Bäume sind alle eingegangen. Zudem lockte die Brache zu wilden Partys – die ungeladenen Gäste hinterliessen Zerstörung und Abfallberge. Als De Falcis bei der Stadt Unterstützung gegen die Eindringlinge und für die Beseitigung des Unrats erbat, wurde er abgewiesen.

Trotzdem liess er sich nicht unterkriegen und versuchte immer wieder, das Positive zu sehen und das Beste aus der Situation zu machen. Weil die offene Autobahn unabwendbar schien, plädierte er dafür, den Neubau des Regionalspitals mit angegliederter Pflegefachschule auf seinem und den umliegenden Grundstücken im Einzugsbereich von Bienne-Centre anzusiedeln – um den Schaden für die «geliebte Stadt Biel» zu minimieren, wie er es 2018 in einem Brief formulierte. Dies wäre notabene ganz im Sinne der damaligen städtebaulichen Begleitplanung gewesen, die entlang der Autobahnschneise grosse Bauvolumen als Lärmschutzwände in Aussicht stellte.

Soweit ist es bekanntlich nicht gekommen. «Für mich grenzt es an ein Wunder, dass diese Autobahn mitten durch die Stadt verhindert werden konnte», sagt Daniele De Falcis. Als er davon gehört habe, sei er überglücklich gewesen – nicht nur wegen des Grundstücks, sondern vor allem, wegen seiner Heimatstadt Biel.

Der einzige Wermutstropfen: Sein Vater, mit dem er das Grundstück einst erworben und das Projekt in Angriff genommen hatte, ist in der Zwischenzeit verstorben. Er wird sich über das langersehnte Happy End nicht mitfreuen können… Umso wichtiger ist es für Daniele De Falcis, das Ganze nun zu einem guten Ende zu bringen – auch im Gedenken an seinen Vater.

Erneuter Rückschlag
Anfang 2021 wurde mit der Abschreibung des Westastprojekts der Enteignungsbann auf den Liegenschaften entlang der geplanten Autobahnachse aufgehoben. Schon im Dezember 2020, noch bevor die Behörden die Empfehlungen aus dem Dialogprozess offiziell in Empfang genommen hatten, hatte sich Daniele De Falcis noch einmal mit einem Schreiben an die Bieler Stadtverwaltung gewandt. Nach jahrelangem zermürbendem Ringen endlich wieder voller Enthusiasmus und Hoffnung: Mit dem Ende des Westast hoffe er jetzt dort anknüpfen zu können, wo sein Bauprojekt vor 15 Jahren stehen geblieben ist, mit «einigen kleinen Modifikationen».

Diesmal erhielt er jedoch postwendend eine eindeutige Antwort von der Stadt: Das Projekt aus dem Jahre 1999 sei nicht mehr umsetzbar, die Baubewilligung längst abgelaufen. Eine bittere Enttäuschung für den Bauherrn, der nach einem ausführlichen Gespräch mit der Bieler Stadtplanerin sagt: «Madame Schmoll hatte ein offenes Ohr für mein Anliegen, für meine Situation hat sei Verständis gezeigt, aber ihre Argumente waren klar und nachvollziehbar.»

Seit diesem Gespräch im Frühjahr 2021 herrscht wieder Funkstille. Die üppige Natur, die sich in den letzten Jahren das Grundstück zurückerobert hatte, wurde im Sommer zwar radikal gerodet, seither hat sich aber nichts mehr bewegt. Weil die Parzelle 5376 in einer Zone mit Planungspflicht (ZPP) liegt, gelten besondere Bestimmungen. Die Stadt hat inzwischen als ersten Schritt einen Studienauftrag an ein Architekturbüro vergeben (siehe Kasten). Bis ein neues, angepasstes Bauprojekt überhaupt in Angriff genommen werden könne, so die Stadtverantwortlichen, werde noch einige Zeit vergehen.

Ein weiterer Rückschlag für Daniele De Falcis. Einmal mehr findet er jedoch verständnisvolle und beschwichtigende Worte für das Vorgehen der Behörden: «Die Zeiten haben sich verändert, dass man heute stärker verdichten will, ist nachvollziehbar und richtig», sagt er. Und hofft, dass mit der neuen Planung die Bruttogeschossfläche für sein Grundstück von bisher 5000 Quadratmeter auf 8000 Quadratmeter erhöht werden kann. Damit, so Daniele De Falcis, hätte er wenigstens eine kleine Kompensation für die jahrelangen Verluste.

Fakt ist: Die Parzelle 5376, die während Jahren bloss Kosten und Sorgen bereitete, gehört heute zu den spannendsten Grundstücken für die künftige Entwicklung der Stadt. Bauinvestoren haben den Braten gerochen. Deren Interesse ist gross, wie Daniele De Falcis aus eigener Erfahrung weiss: Wöchentlich erhalte er Anfragen von Kaufwilligen. Er will jedoch nicht verkaufen, sondern endlich seinen Traum verwirklichen: Ein neues, zeitgemässes Projekt mit einer gemischten Nutzung und viel Grün. Ob und wann er diesen Traum verwirklichen kann, bleibt jedoch weiterhin offen. Immerhin: Die Chance besteht, dass er beim Übertritt ins Rentenalter in rund zwölf Jahren doch noch eine Pension aus seinem Grundstück erhält…

 

 ZPP 2.5 «Schönegg»

Die Abteilung Stadtplanung der Stadt Biel hat bereits im Frühjahr 2021 die Grundlage sowie einen Fahrplan für die Entwicklung der Parzelle 5376 «Schönegg» erstellt. Demnach könnte frühestens in dreieinhalb Jahren mit der Umsetzung eines neuen Bauprojekts begonnen werden.

Dies, weil sich die Parzelle in einer Zone mit Planungspflicht (ZPP) befindet. Das heisst, bevor ein Bauprojekt entwickelt werden kann, muss zuerst eine Überbauungsordnung für das Gebiet erarbeitet und verabschiedet werden.

Der Entwurf für die Überarbeitung des aktuellen «ZPP 2.5 Schönegg» datiert vom 21. April 2021. Das fünfseitige Papier verweist auf die bereits in der städtebaulichen Begleitplanung zum Westast formulierten Prinzipien, wonach die Madretschschüss aufgewertet und die Zahl der Parkierungsflächen stark beschränkt werden soll. Zudem wird festgehalten, dass sich die Parzelle für eine stärkere Verdichtung eigne als die Ende der 1990er Jahre bewilligten 5000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche auf fünf Stockwerken.

Das Bieler Stadtplanungsamt hat ein Architekturbüro mit der Ausarbeitung der Rahmenbedingungen sowie der Erarbeitung eines Pflichtenhefts für die weitere Entwicklung der Parzelle «ZPP 2.5 Schönegg» beauftragt. Dafür wurde ein Zeitraum von 6 Monaten veranschlagt. Anschliessend folgt eine Testplanung, bei der während weiterer 6 Monate unter Federführung des Stadtplanungsamts Varianten studiert und ein Konzept entwickelt werden. Auf dieser Basis sollen dann in einem nächsten Schritt ein Überbauungsplan erstellt und parallel dazu ein Ausführungsprojekt für das Bauvorhaben erarbeitet werden. Alles in allem dürften so mindestens drei weitere Jahre ins Land gehen, bevor auf der Schönegg-Brache ein neues Projekt in Angriff genommen wird.

 

© Bild und Text: Gabriela Neuhaus

 

 

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