DIE SCHÖNEN SEITEN VON BIEL
28. Oktober 2017: Tag der offenen Tür im Maschinenmuseum
Feine Drehorgelklänge am Samstagmorgen im Wydenauquartier: Peter X. Bürgisser macht mit seinem nostalgischen Instrument den passenden Auftakt zum Tag der offenen Tür im Maschinenmuseum Centre Müller. Er ist extra aus Kaiseraugst angereist, um seinen Beitrag zum Erhalt des Museums zu leisten. Kaum öffneten sich die Türen des Museums um 10 Uhr, trafen auch schon die ersten BesucherInnen ein. Das Interesse und die Faszination der alten, oft tonnenschweren Maschinen lockten im Lauf des Tages Hunderte.
Die fachkundigen Museumsführer – alles Angestellte der Muller Machines SA – wussten unzählige spannende Geschichten zu den kostbaren Einzelstücken zu erzählen. Der Einblick in die Anfänge der Industrialisierung beeindruckt auch heute noch Gross und Klein. «Diese alten Maschinen sind echte Kunstwerke», bemerkte eine begeisterte Besucherin.
DIE FIRMA UND IHR MUSEUM
Dass die historischen Maschinen überhaupt noch existieren, ist der Weitsicht der Familie Müller zu verdanken. Vor vollem Saal fasste der heutige CEO Michel Müller die Geschichte des Unternehmens, die eng mit derjenigen des Museums verknüpft ist, zusammen
Angefangen hatte alles 1917, als Charles Müller, der Grossvater von Michel Müller, seine erste Maschine kaufte. Das Besondere: Es handelte sich um eine Occasion-Maschine… Bald zeigte sich, dass ihn sein Gespür nicht getäuscht hatte: Die Geschäfte liefen gut, der Handel mit Occasion-Maschinen war ein Erfolg.
Als die Räumlichkeiten in Bévilard für das Unternehmen zu klein wurden, zogen Muller Machines 1929 nach Biel. Nach dem Tod des Firmengründers führten dessen Söhne Felix und Serge 1942 das Unternehmen in eine neue Epoche und gründeten eine AG. 1966 wurde in Brügg ein Erweiterungsbau erstellt, 1982 beschloss die Firmenleitung einen weiteren Bau sowie den Umzug des Firmensitzes nach Brügg. Heute gehört Muller Machines SA zu den weltweit führenden Händlern von Werkzeugmaschinen. Die Firma hat sich auf den schlüsselfertigen Verkauf von hochpräzisen Werkzeugmaschinen spezialisiert. Auf 15’000 Quadratmetern Ausstellungsfläche präsentiert sie heute in Brügg rund 3000 Maschinen, die zum Verkauf stehen.
Schon vor 70 Jahren hätten sein Vater und sein Onkel veraltete mechanische Maschinen, die nicht mehr zum Verkauf standen, vor dem Verschrotten gerettet, um diese Kleinode der ersten Generation von Industriemaschinen der Nachwelt zu erhalten, erzählte Michel Müller. Damals kamen viele Occasion-Maschinen aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts auf den Markt, weil die Firmen von den mit Transmissionsriemen angetriebenen Maschinen auf neue, mit Einzelmotoren betriebene Maschinen umrüsteten.
Den lange gehegten Traum vom Museum verwirklichten die Müllers schliesslich im Vorfeld der Expo 02: Die Muller Machines SA liess ihre Liegenschaft im Wydenauquartier zu einem modernen Ausstellungsgebäude umbauen. Damals hätten ihnen die Behörden versichert, dass der Museumsstandort vom A5-Westast nicht tangiert werde, sagte Michel Müller und schloss seine Ausführungen mit den Worten: «Dass nun das Museum nicht einmal der Autobahn selber, sondern einzig und allein der Baustelle geopfert werden soll, kann ich schlicht nicht glauben!»
VERÄNDERUNGEN
Die Bieler Historikerin Margrit Wick nahm das Publikum mit auf eine Zeitreise. Anhand von Karten und Bildern aus den Anfängen des 19. Jahrhunderts bis heute zeigte sie, welche Veränderungen Biel und insbesondere das Seequartier in dieser Zeitspanne durchlaufen hat.
Bis zur Juragewässerkorrektion war das Seeufer regelmässig überschwemmt. Die Entwicklung der Stadt Biel Richtung See begann erst Mitte des 19. Jahrhunderts und verlief während langer Zeit in kleinen Schritten. Eine Beschleunigung erfolgte mit dem Bau der ersten Bahnlinie nach Biel, die 1857 eröffnet wurde und am Zentralplatz endete. Von dort gab es eine Verbindung zum See, wo die Reisenden Richtung Neuenstadt und Neuenburg aufs Schiff umgestiegen sind. 1860 wurde dann die Bahnlinie Biel-Neuenburg, entlang dem linken Bielerseeufer, eingeweiht. Damals verlief das Bahntrasse jedoch noch ebenerdig. Der Damm, der heute das Seequartier vom Rest der Stadt trennt, wurde erst später aufgeschüttet: Mit der Bahnverbindung in den Jura und in der Folge mit dem Bau des neuen Bieler Bahnhofs.
Das zusätzliche Land am See, das man dank Juragewässerkorrektion und Aufschüttungen dazugewonnen hatte, nutzte man bis weit ins 20. Jahrhundert vor allem für Gewerbe und Industrie. Zum Beispiel befand sich dort, wo heute die Überbauung Agglolac geplant ist, das riesige Holzlager einer Sägerei. Die Liegenschaft, wo heute das Maschinenmuseum Centre Müller untergebracht ist, war ursprünglich eine Giesserei, die zwischen 1901 und 1905 gebaut wurde.
Margrit Wick erinnerte auch daran, dass die Seeufer erst mit der Entwicklung unserer Wohlstands- und Freizeitgesellschaft jene Bedeutung erlangten, die wir ihnen heute beimessen. Früher, als die Leute noch sechs Tage die Woche und zehn Stunden am Tag arbeiteten, hätte niemand Zeit und Musse gehabt, am Nachmittag, nach der Arbeit und bis in die Nacht hinein das Strandbad zu geniessen. – Immerhin, der Strandboden wurde schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Park angelegt, und später mehrmals umgestaltet.
Trotzdem: Das Seequartier galt lange als Industrie- und Gewerbequartier. Möglicherweise sei man bei der ursprünglichen Planung des A5-Westasts davon ausgegangen, dass hier dereinst bloss Industriebrachen tangiert würden, gab Margrit Wick zu bedenken. Dass sich nicht nur die Verhältnisse, sondern auch die Sicht auf die Dinge im Lauf der Zeit stark verändert haben, zeigte ihr letztes Bild von der Expo 2002, wo das Seebecken als Freizeitlandschaft zelebriert wurde…
VERBORGENE SCHÄTZE
Was sich in der Stadt Biel hinter so mancher Tür, im Treppenhaus an Kunst verbirgt, ahnen die wenigsten Bielerinnen und Bieler. Denkmalpfleger Rolf Weber wies eingangs seines Referats darauf hin, dass das Treppenhaus eigentlich die Visitenkarte eines jeden Hauses ist.
Dem trugen Bauherren in früheren Jahren Rechnung: Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein wurden Treppenhäuser kunstvoll gestaltet, die Wände oft bemalt. Vieles davon ist in Biel erhalten geblieben – nicht zuletzt, weil es ab Mitte des 20. Jahrhunderts in der Stadt Biel an Geld für Erneuerung in grossem Stil fehlte. Ein Glück: Was in anderen Städten unwiederbringlich verloren ging, findet man heute in Biel noch. Die Stadt gilt unter Fachleuten als die «Hauptstadt der bemalten Treppenhäuser».
Auf dem virtuellen Rundgang, den Rolf Weber den Gästen im Centre Müller präsentierte, fieberte man richtig mit: Der Denkmalpfleger öffnete Tür um Tür, die normalerweise neugierigen Augen verschlossen bleiben. Zum Vorschein traten ungeahnte Schätze, viele davon wurden erst in den letzten Jahren neu entdeckt.
Insbesondere seit der Expo 02, wurden viele der alten Liegenschaften, die während Jahrzehnten vernachlässigt worden waren, sorgfältig renoviert und soweit möglich und sinnvoll wieder in den Originalzustand versetzt. «Die heutige Generation schätzt den Sinn für das Schöne aus der alten Zeit», freute sich Rolf Weber und schloss seine bunte Präsentation mit dem Aufruf: «Biel ist eine wunderschöne Stadt – wir müssen ihr Sorge tragen!»
MUSIK, RACLETTE UND UNTERSCHRIFTEN
Als Dessert hatte der Denkmalpfleger dann noch eine weitere Entdeckung bereit: Der 1938 entstandene Dokfilm über den Bau des Olympiahauses an der Murtenstrasse ist gleichzeitig ein historisches Dokument und eine filmische Perle.
Für die musikalische Umrahmung der Veranstaltung sorgte Zimi’s Hot Swing Trio. Die vier Musiker (ja, sie waren zu viert!) waren extra aus Bern angereist, um den Überlebenskampf des Museums zu unterstützen. Mit ihrem schwungvollen French Jazz sorgten sie für musikalische Höhepunkte und fröhliche, unbeschwerte Stimmung.
Trotzdem: Beim anschliessenden Apéro, beim Raclette im Zelt und am Informationsstand im Eingang war natürlich die Bedrohung des Museums durch die Autobahnpläne Thema Nummer eins. Die Tatsache, dass die weitere Existenz des Museums an seinem jetzigen, idealen Standort (in fünf Minuten Gehdistanz vom Bahnhof und vom See) durch den A5-Westast akut bedroht ist, sorgte bei den BesucherInnen für Kopfschütteln und Unverständnis. Deshalb erhält der Gemeinderat der Stadt Biel in den nächsten Tagen einen Brief mit hunderten von Unterschriften, die am Tag der offenen Tür im Centre Müller gesammelt wurden. Titel der Petition: «DAS MASCHINENMUSEUM CENTRE MÜLLER DARF NICHT DEM A5-WESTAST GEOPFERT WERDEN!»
Bilder: © Michael Giezendanner; Angelo Scudeletti; Präsentationen Margrit Wick und Rolf Weber
Text: © Gabriela Neuhaus, 30.10.2017