Die Fussballer haben ihre Trainings bereits in die Hallen verlegt. Stürmische Herbstwinde fegen über Biel hinweg, es nieselt. Man würde denken, dass sich bei diesem Wetter niemand vor die Türe wagt – aber auf dem Sportplatz Mühlefeld geht es an diesem letzten Oktobersonntag noch einmal zur Sache, bevor der Rasen während der kommenden Monate definitiv der Winterruhe überlassen wird.
Angefeuert von den Fans bestreitet die erste Mannschaft des FC Étoile Bienne ihr letztes Heimspiel vor der Winterpause gegen den FC Bolligen, gefolgt von den Junioren der Coca-Cola League, deren Gegner aus Worb angereist sind.
Neuerdings begrüsst eine grosse Blache mit der Aufschrift «Bienvenue au Stade du Mühlefeld» und dem roten Stern des FC Étoile die BesucherInnen. In der Luft hängt verlockender Grillduft. Nebst den obligaten Bratwürsten gibt es in der frisch renovierten Buvette weitere Leckereien wie Pommes Frites oder Kaffee. Die Gäste wissen es zu schätzen und bleiben auch nach dem Spiel noch auf einen Happen und einen Schwatz.
«Es gibt wieder Leben im Club», freut sich René Kohli. «Man kennt sich, tauscht sich aus – über Emotionen und Frustrationen. So, wie es sein sollte – und wie es früher einmal war.» Eventmanager Kohli trainiert die F‑Junioren und ist Mitglied des 10köpfigen Teams, das im Sommer eingesprungen ist, als die Zukunft des Vereins auf Messers Schneide stand.
Dies, nachdem die Sekretärin des Clubs in der Gratiszeitung Biel/Bienne einen Notruf lanciert hatte: Der Vorstand bestehe gerade noch aus zwei Aktiven, ihr und dem Kassier. Es sei schwierig, Freiwillige zu finden, um den Traditionsclub weiterzuführen, sagte sie im Interview. Worauf sich eine Gruppe Étoile-AnhängerInnen zusammentat, um ihren Quartierverein 50 Jahre nach dessen Gründung zu retten.
Beim FC Étoile engagieren sich aktuell 20 freiwillige TrainerInnen, die rund 150 Kindern und Jugendlichen professionellen Fussballunterricht anbieten. Die Nachfrage ist gross, momentan besteht sogar eine Warteliste. Die meisten jugendlichen FussballerInnen wohnen in der Nähe des Sportplatzes Mühlefeld, wo im Sommer die Trainings und die Heimspiele stattfinden. Insbesondere für die jüngeren SpielerInnen sei es wichtig, den Fussballplatz in der Nähe zu haben, so dass sie selbstständig, zu Fuss ins Training und wieder nach Hause können, betont Kohli.
Nicht ohne Stolz weist er darauf hin, dass der Club bei der Entdeckung und Ausbildung junger Fussballtalente eine wichtige Rolle spiele. So begann zum Beispiel die Fussballkarriere des Nationalspielers François Affolter, der im Sommer in die USA wechselte, beim FC Étoile. Der Club sei eine wichtige Ausbildungsstätte – Biel gehöre schweizweit zu den wichtigsten Reservoirs von Nachwuchsspielern, sagt Kohli. Gleichzeitig übernehme der Club aber auch eine wichtige soziale Funktion, als Ort der Integration für Kinder und Jugendliche.
Wie bei seiner Gründung, versteht sich der FC Étoile auch heute als Quartierverein. Im Lauf der Zeit haben sich die umliegenden Quartiere allerdings stark verändert: Im Mühlefeld- und vor allem im Weidteilequartier leben viele Menschen aus verschiedensten Weltregionen und Kulturen, insbesondere auch viele AsylbewerberInnen und Flüchtlinge. – Von den insgesamt 24 sieben- bis neunjährigen F‑Junioren, die René Kohli trainiert, haben gerade mal vier einen Schweizer Pass. Die Familien der meisten Kinder und Jugendlichen kommen aus Nordafrika, Afrika oder dem Balkan.
Kohli erzählt von einem Buben aus Syrien, der anfänglich sehr scheu war und aufgrund der schwierigen Situation – die Familie wurde durch die Flucht getrennt – auch immer sehr niedergeschlagen gewesen sei. Zudem hatte er sprachlich Mühe, konnte sich anfänglich auf Französisch oder Deutsch kaum verständigen. Beim Fussballtraining spielt das jedoch eine untergeordnete Rolle: «Er konnte sich ausleben und hat sich gut integriert. In der Mannschaft ist er richtig aufgegangen – sportlich und als Mensch. Das hat auch Auswirkungen auf die Schule», freut sich der Trainer.
Der Verein sei ein Multikulti-Ort im guten Sinn, betont Violeta Bocevska, die sich ebenfalls im neuen Vorstand des FC Étoile engagiert. «Dank der Integration der Kinder in den Club entsteht auch Kontakt zu den Eltern, die oft sehr scheu sind und sonst kaum den Zugang zum hiesigen Leben finden.»
Doch nicht allein das Trainingsangebot des FC Étoile ist für das Quartier von Bedeutung, sondern auch der Sportplatz als solcher, mit angegliedertem Spielplatz. An freien Tagen sei hier immer Hochbetrieb, sagt Violeta Bocevska, die gleich nebenan wohnt. «Wenn das Tor abgeschlossen ist, klettern sie einfach über die Abschrankung. Viele Kinder und Jugendliche haben nur diesen Freizeitort!» gibt sie zu bedenken.
Umso schlimmer, dass auch der Mühlefeld-Sportplatz der A5-Westastautobahn geopfert werden soll: Würde das aktuelle Projekt umgesetzt, wäre im Quartier zumindest für mehrere Jahre fertig mit Spiel- und Sportplatz. «Die Stadt müsste uns einen Ersatz anbieten», sagt René Kohli. Allerdings habe man bisher von den Behörden keine entsprechenden Angebote erhalten.
«Wir wissen nicht, ob und wie es weitergehen würde», sagt Violeta Bocevska. Es brauche einen Platz im Quartier, weil die Kleinen nicht quer durch die Stadt ins Training können, und weil der Sportplatz dorthin gehöre, wo die Menschen leben: «Würde der Sportplatz Mühlefeld der Baustelle geopfert, wäre das nicht nur ein Verlust für den Verein, sondern für die ganze Stadt. Auch im sozialen Bereich!»
So lassen sich die Verantwortlichen des FC Étoile denn auch ihre Aufbruchstimmung nicht von den Autobahnplänen vermiesen. Im kommenden Frühling, mit dem Start der Rückrunde, soll der Platz noch stärker als bisher zum Quartierzentrum werden: Die Buvette wird ab März 2018 nicht nur während der Spiele des FC Étoile geöffnet sein, sondern auch unter der Woche Geränke und Snacks anbieten. Und im Mai plant der Fussballclub, zusammen mit dem Mühlefeldleist, ein grosses Quartierfest.
Zudem soll das «Stadion Mühlefeld» endlich auch beschriftet werden. «Dazu gibt es eine lustige Geschichte», lacht Kohli. «Als die neuen Kühlschränke für die Buvette geliefert wurden, rief mich der Chauffeur an und sagte: Mein Navi findet nur Mühleberg, kein Mühlefeld… Worauf ich erwiderte: Uns reicht die angedrohte Autobahn, da brauchen wir nicht auch noch Cäsium…»
Damit sich solche Verwirrungen künftig nicht wiederholen, wurde nun die Signalisation von beiden Zufahrtsstrassen her in die Wege geleitet.
Text: © Gabriela Neuhaus, Oktober 2017