PARAGRAPHEN STATT GESUNDER MENSCHENVERSTAND

Gross war die Freude, als im März 2017 das ehemalige Balmerlädeli an der Gurnigelstrasse 21 zu neuem Leben erwachte. «Kiosk und Teeroom» stand in grossen Lettern am Schaufenster. Drinnen ein Ladentisch, der gleichzeitig als Theke diente. Im hinteren Teil, liebevoll eingerichtet, das gemütliche «Stübli».

Ein Dutzend Stühle an drei Tischen. Für mehr reichte der Platz nicht. Handverlesen die stilvollen Möbel, die Brahim El Mhamh, unterstützt von seiner Frau Tanya, in verschiedenen Brockenhäusern zusammengesucht hatte. An der Wand ein Bild der Bieler Künstlerin Christina Szemere, das sie dem Tea-Room zur Verfügung gestellt hatte. Es passte perfekt zum Interieur und verlieh dem Raum Wärme und Kraft.

Schnell entdeckten die QuartierbewohnerInnen den neuen Treffpunkt. Eine Gruppe von SeniorInnen traf sich regelmässig zum Apéro – bei schönen Wetter an den Tischen vor dem Ladenlokal, bei Regen drinnen. Unter ihnen auch Paul und Maria Balmer, Hausbesitzer und Vermieter des Ladenlokals.

Lange hatten sie nach einem passenden Mieter für ihr 40 Quadratmeter kleines Ladenlokal gesucht. Investieren wollten sie allerdings nicht mehr gross, da ihr Haus wegen dem A5-Westast abgebrochen werden soll. Ein Handicap, auch bei der Suche nach einem neuen Mieter, dem man natürlich klaren Wein ein-schenken musste.

Ursprünglich ein Gemüse- und Quartierladen, war das Balmerlädeli 30 Jahre lang ein stadtbekannter Blumenladen, anschliessend für sieben Jahre ein Hundesalon. Als dessen Betreiberin altershalber aufgab, blieben die Türen des Ladenlokals lange geschlossen. «Es gab eine Reihe von Interessenten, die einen Kebab-Stand oder ein Pizzalokal einrichten wollten. Das passte uns nicht, wir wollten niemanden, der hier regelmässig kocht», sagt Maria Balmer.

Die Idee eines Kiosks mit Tea-Room hingegen gefiel den Vermietern, die im oberen Stock wohnen. Schnell wurden sie sich mit den neuen Mietern handelseinig: Brahim El Mhambh wollte das Lokal selber renovieren und für die nötigen Investitionen aufkommen. Dafür wurde ihm für die ersten Monate der Mietzins erlassen.

© Anita Vozza, Oktober 2017

Wie es das Gesetz erfordert, wurde Brahim El Mhambh auch bei den Nidauer Behörden vorstellig. Dort erhielt er die nötigen Formulare sowie die Mitteilung, dass er den Laden nicht einfach in einen Gastbetrieb umfunktionieren könne. Dafür brauche es bauliche Massnahmen, wie zum Beispiel den Einbau einer Toilettenanlage…

Gesagt, getan: Brahim El Mhambh nahm die Anweisungen der Gewerbepolizei ernst. Er baute im hinteren Teil des Lokals extra eine Gäste-Toilette ein, um den Vorschriften Genüge zu leisten. Genauso, wie er die Hygieneauflagen für den Ausschank von Getränken und Snacks befolgte. Schliesslich war es nicht das erste Mal, dass er ein Lokal einrichtete. Unterstützt wurde er dabei von Freunden, Bekannten und NachbarInnen.

Der gebürtige Marokkaner lebt seit 22 Jahren in der Schweiz und hat einen Schweizer Pass. Seine Partnerin ist in der Schweiz aufgewachsen und hat italienische Wurzeln. Mit ihren Kindern, die in Nidau zur Schule gehen, wohnen sie gleich um die Ecke, an der Bielstrasse.

Eine ideale Voraussetzung für das neue Quartierlokal: Im Kiosk boten sie eine breite Palette von alltäglichen Lebensmitteln und Haushaltwaren an sowie ausgewählte exotische Spezialitäten und kleine Geschenke. Genauso enthielt das Angebot an Getränken und Snacks im «Teeroom» für jeden Geschmack das Richtige. Zum Kaffee gab es immer auch ein Guezli – Gastfreundschaft wurde nicht nur gross geschrieben, sondern gelebt.

Das gefiel den Leuten – Alteingesessenen wie neu Zugezogenen aus dem nahen Weidteilequartier. Immer wieder überraschten Brahim El Mhambh und sein Team die Gäste und KundInnen mit neuen Überraschungen und Ideen. Der einzige Wermutstropfen sei die Vorstellung, sagte Brahim El Mhambh, dass sein Lokal irgendwann der Westast-Baustelle weichen müsse.

Das war Anfang Sommer. Die Geschäfte liefen gut und im Gurnigelquartier freute man sich, endlich wieder einen Quartiertreffpunkt zu haben. Bis zu dem Tag, als die Gewerbepolizei Nidau, rund drei Monate nach Eröffnung, bei der Durchfahrt vom Auto aus die Aufschrift «Kiosk und Teeroom» sowie die Tischchen vor dem Balmerlädeli entdeckte.

Umgehend erhielt Brahim El Mhambh eine Busse sowie einen Telefonanruf von Polizeichef Huber, der ihm beschied, er dürfe das Lokal nicht als «Teeroom» beschriften und betreiben. Der überrumpelte Unternehmer versuchte gar nicht erst, sein Lokal zu verteidigen. «Ich fragte: Was darf ich denn? Und Huber hat gesagt: Es Lädeli», erinnert er sich.

Aus Angst und weil er es sich mit den Behörden nicht verderben wollte, reagierte Brahim El Mhambh schnell. Schon nach wenigen Tagen hatte er das «Teeroom» durch eine «Lädeli»-Aufschrift ersetzt. Stühle und Tische wurden aus dem liebevoll eingerichteten Stübli entfernt, gleich wie die Bistro-Tischchen vor dem Lokal.

Fotos: © Anita Vozza, Oktober 2017

Von einem Tag auf den anderen wurde das erfolgreiche KMU-Geschäftsmodell umgestossen. Brahim El Mhambh musste die beiden Teilzeitangestellten entlassen: Ohne Apéro- und Kaffeerunden konnte er ihre Löhne nicht mehr finanzieren. Um wenigstens das Lädeli zu retten, reiste er nach Marokko, wo er günstige Marktware einkaufte. So versucht er nun, den Wegfall der «Teeroom»-Gäste mit exotischen Kleidern und Taschen zu kompensieren. Bisher ohne Erfolg.

Vorläufig will Brahim El Mhambh noch nicht aufgeben und stopft die Löcher in der Kasse mit den Einnahmen aus seiner Garage, die er im Berner Jura betreibt. Wie lange das gut geht, ist offen.

«Die Umnutzung eines Ladens in einen Gastbetrieb braucht eine Bewilligung, die haben wir ihnen nie erteilt», begründet Thomas Huber das Vorgehen der Gewerbepolizei. Um die Bewilligung zu erhalten, bräuchte es feuerpolizeiliche Massnahmen, das Lebensmittelgesetz müsse eingehalten, und eine Toilet-tenanlage eingebaut werden.

Auf den Einwand, dass bei der Renovation entsprechende Vorkehrungen getroffen worden seien und Brahim El Mhambh unter anderem auch ein WC eingebaut habe, sagte Huber, davon wisse er nichts. Es habe kein entsprechendes Baugesuch gegeben und nein, vor Ort sei er nie gewesen.

Stattdessen erwähnt er, dass das «Teeroom» auch kein für Behinderte zugängliches WC habe, wie es Vorschrift sei. Auf die Frage, ob dies für die drei Tische im Stübli wirklich nötig gewesen wäre, wo nicht einmal die stadtbekannte Bäckerei, deren Tea-Room wesentlich grösser ist, ein Behinderten-WC anbiete, meint Huber nur: «Davon weiss ich nichts, das hat mein Vorgänger verfügt.»

Er weist darauf hin, dass die Hauseigentümer ja nicht bereit seien, ihrerseits in bauliche Anpassungen zu investieren. Dass sie dies nicht einmal dürften, wenn sie wollten, weil ihnen für den Bau des Westasts Enteignung droht, davon weiss der Polizeichef nichts. Der Vorschlag, Brahim El Mhambh für die Zwischennutzung bis zum Abbruch der Liegenschaft eine erleichterte Betriebsbewilligung zu gewähren, interessiert den Beamten nicht: Dafür sei er nicht zuständig. Punkt.

Eine verpasste Chance. Statt dem allseits beliebten «Kiosk und Teerom Gurnigel» nach drei Monaten den Stecker zu ziehen, hätten die zuständigen Behörden Brahim El Mhambh und seinem Team mit der gleichen Toleranz begegnen können, die sie in anderen Fällen offensichtlich aufbringen. Mit etwas mehr Offenheit und Goodwill hätte Nidau heute einen lebendigen, multikulturellen Quartiertreffpunkt.

Text: © Gabriela Neuhaus, November 2017

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