BIELER TRAMGESCHICHTENTO BE RELOADED

Am 18. August 1877 fuhr das erste Rösslitram von Biel nach Bözingen. Ein halbes Jahr später wurde die Verbindung bis zur Kirche Nidau verlängert. – Damit gehörte die Stadt am Jurasüdfuss schweizweit zu den Pionieren des öffentlichen Verkehrs: Nach Genf war Biel die zweite Stadt in der Schweiz, die sich ein Tram leistete.

Für die Finanzierung hatte man bereits 1874 ein «Initiativkomitee für die Schaffung eines Trams» gegründet, die sich zum Ziel gesetzt hatte, ein «billiges, gemeinnütziges und in jeder Beziehung wünschenswertes Verkehrsmittel» auf die Beine zu stellen.

Innert kürzester Zeit wurden Aktien im Wert von 150’000 Franken gezeichnet – die Konzession für den Betrieb ging an die Genfer Tramway-Gesellschaft. Diese startete ihren Betrieb mit 18 Pferden und vier Wagen. Ab 1878 legten diese 20mal pro Tag die gut 9 Kilometer lange Strecke Nidau–Bözingenfeld–Nidau zurück. Die Strassenbahn fuhr im Halbstundenbetrieb, der Fahrpreis betrug 20 Rappen – für damalige Verhältnisse ein stolzer Preis.

1901 wurde die Strecke elektrifiziert – 1913 kam eine Tramlinie nach Mett hinzu. Doch Biel war nicht nur eine der ersten Städte in der Schweiz, die ein Tram hatte – sie war auch die erste Stadt, die dieses wieder abschaffte: Zwischen 1926 bis 1948 wurden die gut ausgebauten Tramlinien nach und nach auf Trolleybusbetrieb umgestellt. Das Tram war aus der Mode gekommen. Es galt als «veraltetes Verkehrsmittel und als Hindernis für den Autoverkehr».

Damit war das Kapitel Tram abgeschlossen. Bis man Anfang des neuen Jahrtausends im Rahmen der vom Bund unterstützten Agglomerationsprojekte eine «neue ÖV-Achse» ins Auge fasste. Dies, weil sich das südliche Seeufer immer mehr zum Wohngebiet entwickelte, während im Bözingenfeld neue Arbeitsplätze entstanden. Mit dem Bau des sogenannten Regiotrams sollten diese beiden Gebiete besser miteinander verbunden werden.

Die Idee: Das gute alte «Töiffele-Bähnli» – die einstige BTI und heutige Aare-Seeland-Mobil sollte bis ins Bözingenfeld verlängert und mit einem verdichteten Fahrplan als Tram weiterentwickelt werden. Ab 2009 erarbeitete der Kanton zusammen mit den betroffenen Gemeinden eine Vorstudie. Ende 2011 wurde ein Vorprojekt vorgestellt – spätestens 2017 wollte man das Regiotram zur Abstimmung bringen.

Die Weiterarbeit wurde 2012 vorerst einmal unterbrochen, weil man die Linienführung des Trams im Bahnhofbereich mit der Planung des A5-Westasts koordinieren müsse, wie es hiess. Es gab jedoch auch grundsätzlichen Widerstand gegen das Tramprojekt. Ein Verein «Stop Regiotram» hatte sich zum Ziel gesetzt, das aus seiner Sicht «viel zu teure Projekt» zu verhindern.

Mit CHF 300 Millionen hätte der Bau der Tramlinie ins Bözingenfeld einen Bruchteil dessen gekostet, was für den A5-Westast budgetiert wurde. Während man jedoch an der teuren Autobahn munter weiter plante, wurde das Regiotram von der Behördendelegation der involvierten Gemeinden im März 2015 schubladisiert.

«Ich glaube nicht, dass das je realisiert wird», sagte die damalige Berner Baudirektorin Barbara Egger 2016 in einem Gespräch. Von Anfang an habe sie eine unglaublich starke Opposition gegen das Tram gespürt – und schliesslich habe die Behördendelegation, in der die betroffenen Gemeinden und der Kanton vertreten waren, das Projekt aus finanziellen Gründen auf Eis gelegt.

Weil es sich beim Regiotram um ein kantonales Projekt handelte, hätten sich die Städte finanziell beteiligen müssen – allen voran die Stadt Biel, sagte Egger: «Biel hatte kein Geld und Nidau war sehr skeptisch. Die Behördendelegation hat das Projekt beerdigt. Realistisch gesehen liegt es nicht einmal mehr in einer Schublade.»

Bemerkenswert der Kommentar des Bieler Stadtpräsidenten Erich Fehr zur Sistierung des Tramprojekts im Bieler Tagblatt vom 27. März 2015: «Die Verkehrsprobleme in Biel sind wohl doch nicht so schlimm, damit es für einen Konsens reicht, dass es das Regiotram braucht.»

Es wäre schwierig, sagte Fehr weiter, «der Bevölkerung zu vermitteln, wieso sie jetzt einem Millionen-Projekt zustimmen sollte, das seine volle Wirkung erst in Jahrzehnten entfaltet.» Mit der Tissot-Arena, der Schüssinsel oder Agglolac habe Biel bereits eine Reihe weiterer Grossprojekte am Laufen, «da gilt es, Prioritäten zu setzen.»

Ob man mit der Tissot-Arena und Agglolac anstelle des Regiotrams die Prioritäten richtig gesetzt hat, fragen sich heute viele in der Region Biel und wünschen sich, dass jetzt der A5-Westast in die Schublade versenkt wird. Dafür sollte die Regiotram-Planung wieder hervorgeholt, aktualisiert und vorangetrieben werden.

Wegen der starrsinnigen Fixierung auf den Autobahnwestast, hat man es verpasst, ein zukunftstaugliches Konzept für den öffentlichen Verkehr in der Region zu entwickeln. Deshalb ist die Stadt Biel aktuell weit davon entfernt, auch im 21. Jahrhundert zu den Pionieren des öffentlichen Verkehrs zu gehören.

FREIWILLIG IM STAU

Ein goldener Samstag im Oktober. Die Sonne gibt noch einmal alles und schafft sogar einen neuen Wärmerekord für diese Jahreszeit. Ideales Herbstferien- und Ausflugswetter.

Wir sind mit dem Velo unterwegs, von Strassburg Richtung Süden. Der Weg führt durch die Rheinebene, vorbei an Obstplantagen mit reich beladenen Apfelbäumen und abgeernteten Maisfeldern. Fast wähnt man sich allein auf der Welt, so still ist es in dieser weiten Landschaft…

Dann der Wegweiser nach Rust. – Das Dorf an der deutsch-französischen Grenze, dessen Name hierzulande jedes Kind kennt. Nicht nur vom Hörensagen, wie sich bald zeigt: Als wir ins Dorfzentrum einbiegen, ist es vorbei, mit der beschaulichen Ruhe. Es ist kurz vor Elf und der Teufel los: Alles scheint auf den Beinen zu sein – unterwegs, in den Europapark. Das Stimmengewirr der FussgängerInnen wird laufend vom Motorengeräusch der herumkurvenden Autos übertönt. Ein FlixBus zwängt sich durch die Dorfstrasse zur Haltestelle «Rust (Europa-Park)». Die Luft riecht nach Abgasen.

Wir kämpfen uns durchs Gewühl. Tausende von Menschen drängen zum Eingang des Parks. Sie haben das erste Stauerlebnis des heutigen Ausflugs bereits absolviert und ihr Fahrzeug, mit dem sie angereist sind, auf einem riesigen Parkplatz deponiert. Nun sind sie zu Fuss unterwegs, voller Ungeduld und Vorfreude auf die weiteren Abenteuer im «Freizeitpark und Erlebnis Resort». Gross und Klein, Jung und Alt – eine Mutter stillt im Gehen ihr Kind.

Der Menschenstrom Richtung Park reisst nicht ab. Von drinnen zerreisst regelmässiges Kreischen die Luft, wenn die vollbesetzte Achterbahn steil in die Tiefe saust. In der Anlage wimmelt es bereits von BesucherInnen, die vor den beliebtesten Bahnen wieder im Stau stehen – diesmal auf den eigenen Beinen – und über die Kreisstrasse kommen immer noch mehr. 

Eine Parade jeglicher Automarken und ‑modelle wälzt sich an uns vorbei. Die effizient arbeitenden Parkhelfer haben alle Hände voll zu tun, um die Neuankömmlinge einzuweisen. Trotzdem kommt es immer wieder zu langen Rückstaus auf der Landstrasse.

KLICK DEN FILM

 

Schätzungsweise ein Drittel aller Autos, die in der halben Stunde unserer Beobachtungen auf den Parkplatz drängen, haben Schweizer Nummernschilder. Praktisch alle Kantone sind vertreten – von Graubünden über Schwyz bis Solothurn und Jura. Besonders zahlreich jene aus der Waadt, dem Kanton Bern und dem Wallis. Sie alle sind an diesem herrlichen Samstagmorgen losgefahren, um sich freiwillig den Menschenmassen und Staus um und im Europapark hinzugeben.

2017 zählte der Freizeitpark in Rust über 5,6 Millionen BesucherInnen – pro Tag ergibt dies im Durchschnitt 21’000. Wobei es zu Spitzenzeiten wie diesem Oktobersamstag wesentlich mehr sein dürften. Die überwiegende Mehrheit kommt mit dem eigenen Fahrzeug, was regelmässig nicht nur bei der Zufahrt zu den Parkplätzen, sondern auch auf der Autobahnanschlussstelle Ringsheim-Rust zu Rückstaus führt.

«Kilometerlange Staus auf der Autobahn, insbesondere aus Richtung Süden am Vormittag, sind inzwischen ein alltägliches Bild, das sich auf der Kreisstrasse zuweilen bis zum Grossparkplatz des Europa-Parks fortsetzt» schreibt die Lokalzeitung. Dies trotz wiederholten Kapazitätserweiterungen in den letzten Jahren. In den kommenden Monaten soll nun für 7 Millionen Euro eine neue, breitere Brücke an der Anschlussstelle Ringsheim-Rust zur Bekämpfung der Freizeitstaus gebaut werden.

Freie Fahrt für eine freie Entfaltung der Freizeitindustrie – ein Argument, das auch die Westast-BefürworterInnen immer schnell zur Hand haben. Obschon man heute weiss: Der Ausbau von Strassenkapazitäten hilft weder gegen die sonntäglichen Schönwetterstaus am Bielersee noch ermöglichen sie eine staufreie Fahrt in den Europapark: Wo alle zur gleichen Zeit das Gleiche wollen, gibt es Stau. Ob am Bratwurststand, auf dem Weg in den Süden oder am Skilift – überall gilt das Gleiche wie in Rust: Stau ist Teil des Ganzen – und gehört dazu.

Der Bau neuer Strassen ist aber nicht nur nutzlos, sondern auch unnachhaltig und unhaltbar – insbesondere in Zeiten des Klimawandels. Die Rekordtemperatur an diesem wunderbaren Oktobersamstag wäre ja eigentlich auch ein Wink mit dem Zaunpfahl, dass es höchste Zeit ist, mit der CO2-Reduktion Ernst zu machen. Umso mehr, als es wunderbare Alternativen gibt: Wer ganz und gar auf das Stehen im Stau verzichten möchte, dem sei eine Velotour – dem Rhein entlang oder im Seeland – wärmstens empfohlen.

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