GEHEGTE WILDNISGESCHÜTZT UND GEFÄHRDET

 

Wilde Reben klettern die Hauswand hoch, bis unters Dach der ehemaligen Direktorenvilla an der Gurnigelstrasse 50. Sie verraten, dass hier Menschen mit einem Herz für Pflanzen und Tiere leben. Im grossen Garten hinter dem Haus, der sich bis zum Gleis des Täuffelenbähnlis ausdehnt, wuchert denn auch eine üppige Pflanzenvielfalt. Altehrwürdige Bäume, Sträucher und Büsche, fast ein kleiner Wald, dazwischen Blumen in allen Regenbogenfarben, würzig riechende Kräuter, Gemüse. Mitten in diesem kleinen Paradies ein Biotop mit Wasserrosen, das auch viele Tiere anzieht.

Drei Bäume in diesem Natur-Gesamtkunstwerk stehen gar unter Schutz – im Zonenplan der Stadt Nidau sind sie speziell erwähnt.

Bloss: Welche drei? – Margrit Schöbi und Leo Horlacher wissen es nicht. Ihnen gehört die Hälfte der Liegenschaft und des Gartens, sie haben das Biotop angelegt, als sie 1994 eingezogen sind. Damals standen besagte Bäume längst unter Schutz – der Nidauer Zonenplan stammt von 1978…

Erst kürzlich auf den Hinweis gestossen, möchten die Besitzer natürlich wissen, welche ihrer Bäume besonderen Schutz geniessen, und was das genau bedeutet. Die Nachfrage bei den Stadtbehörden stösst auf freundliches Echo – noch vor dem Wochenende der offenen Gärten sollen die Fragen geklärt sein.

Nur ein Ortstermin kann Klarheit schaffen. Also begibt sich eine Dreierdelegation, bestehend aus Franziska Bratschi, Bereichsleiterin Bau sowie Werkhofchef Martin Cina und Stadtgärtner Ricardo Binto zu Horlachers Garten .

Als erstes werden sie von Leo Horlacher auf den Balkon im ersten Stock geführt, von dort hat man die beste Übersicht. Rechterhand ragt schlank eine kanadische Hemlocktanne in den Himmel. Deren Vorfahren wurden 1730 in Europa eingeführt und haben sich vor allem im Mittelmeerraum ausgebreitet, weiss Gärtner Ricardo Binto. Das Exemplar in Horlachers Garten wurde vermutlich 1936 gepflanzt, als das Haus gebaut und der Park angelegt wurde. Ist sie eine der drei geschützten Bäume?

Das Auge schweift weiter, über den Gartensitzplatz, das Biotop – ins grüne Dickicht, das den Garten vom BTI-Trasse abschirmt. Dort, hart am Gleis, zieht ein mächtiger Nussbaum mit ausladenden Ästen die Aufmerksamkeit der BesucherInnen auf sich. Es gebe auch noch eine 150jährige Hasel sowie die Überreste von Bäumen, die gefällt worden sind, wirft Leo Horlacher ein.

Über eine elegante Wendeltreppe erreicht die kleine Gruppe den Garten; es ist Zeit, das Ganze aus der Nähe zu begutachten. Wenn ein Baum auf einem privaten Grundstück unter Schutz stehe, erklärt Franziska Bratschi, brauche es fürs Fällen eine Bewilligung von der Gemeinde – und man müsse einen Ersatzbaum pflanzen.

Gleich neben der Hemlocktanne finden die Fachleute die Überreste von zwei weiteren Bäumen, die einst wohl hoch in den Himmel ragten. Der eine Baumstrunk ist bereits stark verwittert, nicht einmal der Gärtner kann mit Sicherheit sagen, was für ein Baum hier einst stand.

Nebenan, auf einem zwei Meter hohen Stammrest mit eindrücklicher Rinde, wuchert Efeu. Das müsse ein amerikanischer Mammutbaum gewesen sein, mutmasst Martin Cina. Diese hätten eine extra dicke Rinde, um den Waldbränden zu widerstehen.

Gegen die Motorsäge konnte sie den Baum allerdings nicht schützen: Er wurde 2008 auf Geheiss des Tiefbauamts des Kantons Bern aus Sicherheitsgründen gefällt, nachdem ein grosser Ast abgebrochen war, erinnert sich Leo Horlacher. – Stand dieser Baum unter Schutz? Falls ja, hätte allerdings ein Ersatzbaum an seiner Stelle gepflanzt werden müssen, was aber offenbar unterlassen wurde…

Den Raum, der durch das Fällen der Bäume neben der Hemlocktanne entstanden ist, haben trotzdem längst andere Pflanzen erobert. Besonders schön ist der japanische Kirschbaum, der aber von wild wuchernden Holunder- und Haselsträuchern bedrängt wird. Bevor sie ihren Rundgang fortsetzen, raten die Experten dem Gartenbesitzer Horlacher, dem Kirschbaum ein wenig Raum zu verschaffen und die schnell wachsenden Büsche in Zaum zu halten…

Weiter geht’s über den Gartenweg – der kleine Lorbeerstrauch und der reich behängte Klarabaum gehören – trotz ihres Charmes und Nutzens – definitiv nicht zu den auf dem Zonenplan eingetragenen geschützten Bäumen. Vielleicht aber die alte Hasel am äussersten Ende des Grundstücks?

Die dicken Ruten sprechen für die Vermutung, dass dieser Strauch über 150 Jahre alt sein könnte und hier bereits den Wegrand säumte, als das Mühlefeld tatsächlich noch ein Feld war. «Vielleicht steht dieser Haselstrauch unter Schutz?»,  wirft Leo Horlacher ein. Doch die Fachleute schütteln den Kopf: Haseln sind weit verbreitet und wachsen viel zu schnell – sie geniessen keinen besonderen Schutz, lautet die Auskunft.

Bleibt der imposante Nussbaum mit seinem Schatten spendenden Blätterdach. Der Baumstamm ist überwuchert von Efeu – der Blick in die Höhe verfängt sich im grünen Geäst. Auch er dürfte ein historisches Alter haben. Vielleicht sei er gar älter als jene im Schlosspark, mutmasst der Gärtner und Werkhofchef Martin Cina ergänzt: «Wir haben nicht manchen so schönen Nussbaum auf unserem Gemeindegebiet.» Auch wenn offen bleibt, ob er einer der drei geschützten Bäume ist oder nicht – erhaltenswert sei dieser stattliche Baum auf alle Fälle, sagt Cina.

Nach einstündiger Begehung des Gartens und viel Fachsimpeln, Diskutieren und Schwärmen bleibt unklar, welche drei Bäume im Zonenplan gemeint sind – und ob sie alle noch stehen. Und irgendwie ist es auch egal: Diese grüne Oase ist ein Gesamtkunstwerk – und als solches hegens- und erhaltenswert.

Auf die angeregten Gespräche folgen dann allerdings betretenes Schweigen und lange Gesichter, als Leo Horlacher auf den Markierungspfosten in der Mitte des Gartens verweist. Er erinnert daran, dass genau hier das Tunnelportal für den A5-Westast gebaut werden soll. Dass dieser einmalige Garten, über dessen Zukunft sie gerade noch so eifrig diskutiert hatten, der geplanten Autobahn weichen und buchstäblich in einem tiefen Loch verschwinden soll. – Nein, das hatten die Gemeindevertreter nicht gewusst…

Text: © Gabriela Neuhaus


 

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