Ein Jahr ist es her, dass die ersten Stopp-A5-Westast Blachen an Gartenzäunen und Hauswänden auftauchten. Zuerst im Mühlefeld, bald schon in der ganzen Region: Es war Frühling, und der schon lange gärende Widerstand gegen das A5-Autobahnprojekt kam so richtig in Bewegung. Den Startschuss bildete eine eindrückliche Velo-Demo.
Jetzt ist wieder Frühling – doch von Bewegung ist heuer nichts zu spüren. Im Gegenteil: In der Region Biel haben die ewig-gestrigen Freunde des motorisierten Verkehrs längst wieder die Oberhand. Seit Wochen beklagen sie sich lautstark – in Artikeln, Sendungen und Leserbriefen – über Einbahnstrassen, 30er Zonen oder neue Lichtsignalanlagen, die dafür sorgen sollen, dass der Autoverkehr den Umweg über die Ostastautobahn nimmt.
Einzig Denis Rossel hält in seinem Leserbrief vom 18. April dagegen. In kurzen Sätzen deckt er den ewig gleichen Mechanismus auf, mit dem eine ganzheitliche Verkehrspolitik von der Autolobby laufend sabotiert wird: «Für sie zählt weder die Verbesserung der Lebensqualität in bestimmten Quartieren infolge geringerem Verkehr, noch die Verbesserung der Sicherheit für velofahrende Kinder oder die Tatsache, dass der öffentliche Verkehr jetzt wieder pünktlich ist.»
Eigentlich wäre jetzt der ideale Moment – und vielleicht die letzte Chance – einer menschenfreundlichen Entwicklung unserer Region zum Durchbruch zu verhelfen: Während man sich beim UVEK und beim Kanton mit den über 650 Einsprachen beschäftigt, die letztes Jahr gegen das Projekt eingegangen sind, könnte die Zeit für die Entwicklung einer zukunftsfähigen Mobilität genutzt werden. Der Boden wäre vorbereitet… Doch all die Vereine und Komitees, die letztes Jahr gegen den Autobahnbau mobilisiert haben, sind noch immer im Winterschlaf.
Ob das gut kommt?
Zur Erinnerung: Vor einem Jahr – in der Zeit vom 18. April bis zum 23. Mai 2017 – wurden die Pläne für das A5-Monsterprojekt öffentlich aufgelegt. Ein Riesenstapel von Papier, den kaum jemand bewältigen konnte. Die behördliche sogenannte Informationsausstellung im A5-Pavillon glich eher einer Propagandaveranstaltung für das Projekt, genauso die Website. Und die gesetzlich vorgeschriebenen Aussteckungen waren verwirrend und unvollständig. Verschiedene Organisationen und Private reichten deshalb beim zuständigen Bundesamt UVEK Beschwerde ein – die Medien berichteten darüber. Auf eine Antwort warten wir bis heute.
So nahm die Bevölkerung der Region schliesslich das Heft selber in die Hand: Am kurzfristig organisierten Flashmob vom 20. Mai radelten und klingelten über 1200 Menschen – Gross und Klein, Jung und Alt – gegen das monströse Autobahnprojekt. Aufbruchstimmung, Freude, Energie. Die Autobahn-GegnerInnen erlebten zum ersten Mal: Wir sind viele, wir können etwas bewegen!
Ein paar Tage später schon, die nächste Aktion: Eine Gruppe von BürgerInnen markierte in einer Blitzaktion die 750 Stadtbäume, die laut Auflageplänen dem Westast geopfert werden sollten. Obschon die Stadtbehörden die Plakate schnellstmöglich wieder entfernen liess, zeigten sie grosse Wirkung. Das Thema war nun in aller Munde. Viele Menschen, die sich bis dahin der zerstörerischen Dimensionen der geplanten Autobahn nicht bewusst waren, forderten eine erneute Markierung. Gleichzeitig erklang immer stärker der Ruf nach einer grossen Demo…
Die Bewegung war nun richtig in Fahrt: Erneut wurden Plakate gedruckt, Bäume markiert. Der neu gegründete Verein «Biel notre amour» sammelte Unterschriften für eine Petition gegen den Westast. Ein weiterer Verein mit dem Namen «Biel wird laut» machte sich an die Organisation einer grossen Demo im Herbst. Der Westast und seine Bedrohung für die Region waren nun ein Dauerthema in den Medien.
Urs Scheuss, grüner Stadtrat in Biel und Vorstandsmitglied beim Komitee «Westast so nicht!» wagte damals eine optimistische Prognose: «Der Sommer 2017 wird als ‘Sommer, in dem der Westast beerdigt wurde in die Geschichte eingehen!» stellte er anlässlich einer Sitzung der aktiven Westast-Gegnerschaft in Aussicht.
Doch es kam anders: Nach der Übergabe der Petition ist der Verein «Biel notre amour» von der Bildfläche verschwunden. Auf der Website prangt seit Monaten das Bild des Beerdingungsgrüppchens, das Ende Oktober die 10’000 Unterschriften nach Bern gebracht hat. Ein symbolhaftes Abschlussbild für eine einst hoffnungsvolle Bewegung? Wer beerdigt da was und wen?
Auch «Biel wird laut» ist verstummt. Auf deren Website kann man sich immerhin noch an den schönen Demobildern vom 23. September 2017 erlaben. Damit hat sich’s. Und das Komitee «Westast so nicht!» ist gar zum Verein der Autobahnbauer «Westast so besser» mutiert.
Der Vereinsvorstand brüstet sich zwar gerne damit, man sei «die grösste Bürgerbewegung der Region.». Nur: Von Bewegung auch hier keine Spur.
Hinter den Kulissen, hört man, soll es Gespräche mit den Behörden geben. Das Thema: Die Machbarkeitsuntersuchungen zur «Westast-so-besser-Autobahn». Bis heute hat der Vereinsvorstand nicht einmal die Briefe, die das Komitee vom Kanton und von der Stadt erhalten hat, all seinen Mitgliedern zugänglich gemacht. Dies, obschon ein Beschluss an der Jahresversammlung Anfang April genau dies gefordert hat.
Auf der Website des Komitees findet man unter «Aktuell» immer noch den Aufruf für die Grossratswahlen vom März 2018 – im Übrigen ist sie zur Promosite der «Westast-so-besser-Autobahn» verkommen. Nicht so schön und professionell gemacht wie die A5-Website der Behörden – aber im gleichen Sinn und Geist.
Bewegung geht anders. Es braucht eine dauerhafte aktive Einmischung in die Zukunfts- und Mobilitätspolitik. Auf allen Ebenen! Der Boden ist vorbereitet, wir müssten jetzt einfach die Zeit nutzen. Und mit neuen, kreativen, lustvollen Aktionen einer innovativen, zukunftsfähigen Mobilität den Weg bereiten. Oder, wie Urs Scheuss letzten Sommer noch gesagt hat: «Wir müssen unsere eigenen Visionen für die künftige Verkehrspolitik entwickeln, damit wir bereit sind, wenn die Westast-Diskussion weiter geht.»
Denn eines steht fest: So wie vor einem Jahr bei der Planauflage vorgestellt, kann die Westast-Autobahn nicht gebaut werden. Es wird zu Modifikationen kommen. Wollen wir dannzumal wirklich mitreden, müssen wir jetzt aktiv bleiben.
Denn eines steht fest: Auch «Westast-so-besser» wird nicht kommen. Zum Glück, denn auch diese Variante bringt mehr Probleme als Lösungen.
Autobahnen bauen war gestern!