MUT ZUR EINSPRACHE 

 

Ein bekannter Rechtsanwalt zögert, als ich ihn frage, ob er bereit wäre, für mich ein Einsprache-Mandat gegen das A5 Westast-Projekt anzunehmen: Bei einem Nationalstrassen-Projekt, sagt er, sei die Materie so komplex, dass er es als fast unmöglich erachte, in der kurzen Zeit bis zum 23. Mai eine fundierte und seriöse Einsprache auf die Beine zu stellen.

Und wie erst sollte das ein normaler Bürger, eine normale Bürgerin, ohne juristische Fachausbildung schaffen?

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Immerhin hat er mir versprochen, sich das Ganze einmal anzuschauen. Ich habe ihm die verschiedenen Links geschickt, bin guter Hoffnung – und versuche vorerst einmal, mich selber kundig zu machen. Es bleiben noch 35 Tage bis zum Einsprache-Ende.

Ich habe den Anwalt nicht früher anfragen können, weil die Ausführungspläne für das A5 Westastprojekt erst seit gestern öffentlich aufliegen. Sie sind die notwendige Basis für all jene, die Einsprache erheben wollen. Denn nur aus diesen Plänen geht hervor, wer aufgrund seiner Wohn- und Lebenssituation sowie der Behördenprognosen als einspracheberechtigt angesehen wird. 

Endlich kann ich nun feststellen, ob das Haus, in dem ich wohne, beeinträchtigt wird. Wird meine Bushaltestelle verschoben? Wie sieht es aus mit der Zufahrt zu meiner Wohnung, während der Bauzeit? Wie stark nimmt der Lärm im Quartier zu? Wie wird sich der Verkehr entwickeln? Wie steht es um die Luftverschmutzung?

Die Antworten auf all diese Fragen findet man in den Berichten und Plänen, die die Behörden gestern nun endlich öffentlich gemacht haben. Aufgelegt in Rats- und Gemeindehäusern und im Internet abrufbar.

Allerdings währt die erste Freude über den längst überfälligen Zugang zu den Informationen nicht lange: Was sich mir auf den ersten Blick präsentiert, ist eine Informationslawine sondergleichen: Allein in der Rubrik «Allgemeiner Teil» sind 16 Dokumente aufgelistet, über 670 Megabytes. Der Umweltverträglichkeits-Bericht für das Teilprojekt «Westast» umfasst sage und schreibe 400 Seiten – die umfangreichen Anhänge, die ebenfalls dazugehören, nicht miteingerechnet.

Doch es ist nicht nur die schiere Masse an Material, die schwindlig macht. Die komplexe Materie, für Laien kaum lesbare Pläne, schwer verständliche Normen und Formeln zur Berechnung von Grenz- und Toleranzwerten… All diese Unterlagen hätten aufbereitet gehört,  anstatt sie den Bürgerinnen und Bürgern in ihrer für Nicht-Fachleute kaum verständlichen Rohfassung schnell, schnell vor die Füsse zu werfen. 

Das ist mehr als ärgerlich, es macht wütend: Die Behörden der Stadt Biel, die im Rahmen der städtebaulichen Begleitplanung eng mit dem Kanton zusammenarbeiteten, waren über das Projekt bereits bestens informiert. Jetzt haben sie eine verwaltungsinterne Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich um die Planauflage kümmert. Alles Fachleute, die das während ihrer Arbeitszeit erledigen. Sie sind dafür bezahlt, es ist ihr Job. Und die Stadtregierung, die den A5-Westast durchdrücken will, wird der Arbeitsgruppe schon gut zureden, damit die städtische Einsprache das Projekt nicht zu Fall bringt. 

Die Bürgerinnen und Bürger, die sich innerhalb der kurzen Einsprachefrist in ihrer Freizeit mit Bergen von Fachchinesisch herumschlagen müssen, gehen mit drei Runden Rückstand in dieses Rennen. Bei solchen Einsprachen geht es um fachliche und juristische Details, die genau stimmen müssen, ansonsten wird die Einsprache mit dem juristischen Besen locker weggewischt. 

Diese ungleichen Spiesse sind Programm: Die Behörden, die das A5 Westast-Projekt à tout Prix durchdrücken wollen, haben sich schliesslich auch die finanziellen (Steuer-) Mittel ihrer Untertanen genehmigt,  um mit  teuren Hochglanz-Broschüren und Filmen  ihre Sicht der Dinge zu verbreiten.

 

Die vielen direkt und indirekt betroffenen Bürgerinnen und Bürger stehen einsam da. Manche werden enteignet. Verlieren ihr Daheim, ihr Haus oder ihre Mietwohnung. Andere sind in den kommenden 15 Jahren und darüber hinaus von Lärm, zusätzlichem Verkehr und Schadstoffemissionen betroffen. Und müssten sich nun, in der Regel als Nichtfachleute, in  den kommenden vier Wochen, mit einer Einsprache zur Wehr setzen. Wer zu Beginn in den Osterferien unterwegs ist, verliert schon mal eine Woche. Clever geplant, Barbara Egger.

Es wird schwierig. Und trotzdem: Der Kampf gegen das Autobahnmonster geht weiter!  Es gibt nämlich Anwältinnen und Anwälte, die bereit sind, Mandate gegen den Westast zu übernehmen. Das Komitee Westast so nicht! bietet Beratung und Unterstützung für Einsprache-Willige an. 

 

Deshalb: Wir gehen mit drei Runden Rückstand ins Rennen, aber wenn den vorgepreschten Schnellstartern der Schnauf ausgeht, übernehmen wir die Spitze – bis ins Ziel.  Wir kennen das – vom Bieler 100km-Lauf.

 

                                                                                                                                   Text: Gabriela Neuhaus

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