Unglaublich, aber wahr: Letzte Woche hat SVP-Grossrat Korab Rashiti aus Gerolfingen eine Motion eingereicht, die tatsächlich verlangt, man solle die «Abschreibung des Projekts A5-Westumfahrung Biel aufheben.»
Nach dem Empörungssturm, den die kürzlich publizierte Gesamtmobilitätsstudie auf Seiten der ehemaligen Westast-Promotor:innen ausgelöst hat, erstaunt eigentlich nichts mehr. Zumal dieser detallierte, aufwändig erarbeitete Bericht ja nur auf Druck der Autobahnbefürworter:innen erstellt wurde. Dumm gelaufen, für die Autolobbyist:innen, dass die Fachleute zum Schluss gekommen sind, dass für die Region Biel eine «Tunnellösung» in Sachen Autobahnausbau nicht sinnvoll ist.
Weil ihnen dieses Resultat nicht gefällt, geben sie nun erneut Gas und sorgen für Stimmung. Damit zeigen die Autobahnbefürworter:innen einmal mehr: Mit Zahlen und Fakten haben sie nichts am Hut. Und mit den Bedürfnissen der breiten Bevölkerung schon gar nicht. Es geht ihnen einzig und allein darum, auf Teufel komm raus die «Schliessung der Netzlücke» in Biel zu erzwingen, sprich den Bau einer nicht-notwendigen Autobahn. Auch wenn dieses Milliardenprojekt aus verkehrstechnischer Sicht sinnlos ist.
Nun also der Vorstoss im Grossen Rat, jenseits von Realität und Machbarkeit. Dieser verlangt nämlich, dass sich der Regierungsrat beim Bund dafür stark mache, dass das im Frühjahr 2021 vom UVEK definitiv abgeschriebene Ausführungsprojekt für die A5-Westumfahrung Biel/Bienne reaktiviert und umgesetzt wird.
Schon aus rechtlicher Sicht ein Ding der Unmöglichkeit, wie Kantonsoberingenieur und Vorsteher des kantonalen Tiefbauamts Stefan Studer gegenüber dem Bieler Tagblatt klarstellt: «Man müsste wieder bei Feld null starten und nochmals ein generelles Projekt entwickeln«, sagt der Fachmann, der die «Baustelle Westast» kennt wie kein anderer.
Jahrelang hatte sich Studer in seiner Funktion als Beamter beim Kanton für das Autobahnprojekt eingesetzt. Der Kantonsoberingenieur begleitete auch den Dialogprozess und in dessen Nachgang die Gespräche im Rahmen von Espace Biel/Bienne.Nidau – kurzum: Studer weiss, wovon er spricht.
In krassem Gegensatz dazu Korab Rashiti. Der SVP-Politiker scheint in Sachen Nationalstrassenbau und Demokratie nicht ganz so sattelfest, wie er gerne von sich behauptet. So schrieb er zum Beispiel, als Kommentar zum Artikel im Bieler Tagblatt, im SVP-Chat zur Abschreibung des Westastprojekts: «Bei solchen Projekten mussten die Gegner in der ganzen Schweiz IMMER 50’000 Unterschriften sammeln und dann ein nationales Referendum abhalten! In unserer Region hat jedoch eine Lobby Gruppe des WWF und Pro Natura Demonstranten aus der ganzen Schweiz mobilisiert, und am Ende hat Staatsrat Christophe Neuhaus eigenmächtig entschieden, dem Bund die Suspendierung des Projekts mitzuteilen!»
Diese paar Zeilen enthalten so viele Falschaussagen, dass man sie gar nicht zählen mag. Angefangen von der Fehlbehauptung, dass gegen das Westast-Autobahnprojekt ein Referendum möglich gewesen wäre. Eben gerade nicht, wie Studer im Artikel des Bieler Tagblatts eigentlich erhellend erklärt. Aber Zeitungsartikel bis zum Schluss lesen und sich informieren, scheint Rashitis Sache nicht zu sein.
Genauso, wie er keine Ahnung über die Westast-Protestbewegung zu haben scheint: Es waren weder WWF noch Pro Natura, die den Widerstand gegen das Autobahnprojekt in der Region Biel mobilisiert haben, und Regierungsrat (nicht Staatsrat!) Christoph Neuhaus hat keineswegs eigenmächtig entschieden, sondern aufgrund eines Dialogprozesses…
Am liebsten möchte man solche aus der Luft gegriffenen, haltlosen Behauptungen mit einem Schulterzucken oder Kopfschütteln abtun. Wäre da nicht die berechtigte Befürchtung, dass Rashiti mit seinem faktenfreien Poltern Resonanz auslöst: Die von ihm im Grossen Rat eingereichte Motion wurde von 16 bürgerlichen Politiker:innen mitunterzeichnet. Der Grossteil davon SVP-Politiker:innen, die ausserhalb des vom Westast direkt betroffenen Perimeters leben.
Unterschrieben haben aber auch einige Politiker:innen aus Biel und Nidau, die es eigentlich besser wissen müssten. Allen voran Sandra Schneider, SVP-Grossrätin aus Biel, die das Ringen um den Westast hautnah miterlebt hat und weiss, dass der Protest gegen dieses stadtzerstörerische Projekt nicht fremdgesteuert war, und dass die Abschreibung auf einem ausgehandelten Kompromiss beruhte.
Das Gleiche gilt für die Nidauer FDP-Politikerin Pauline Pauli, die als langjährige Stadträtin von Nidau ebenfalls mitbekommen haben müsste, wie der Westast-Prozess gelaufen ist. Dass Leute wie sie einen solchen Vorstoss im Grossrat mittragen: Unverständlich, unverantwortlich.
Noch mehr befremdet, dass der umtriebige Nidauer Grünliberale Beat Cattaruzza die Motion ebenfalls unterschrieben hat. Dies, nachdem sich seine Partei während Jahren aktiv gegen das stadtzerstörerische Westastprojekt engagiert hatte. Mehr noch: Als Mitglied der Grossrats-Kommission für Staatspolitik und Aussenbeziehungen müsste auch er eigentlich wissen, wie absurd die Forderungen dieses Vorstosses sind.
Fakt ist: Mit solchen politischen Ränkespielen blockieren SVP-Rashiti und seine Mitläufer:innen jegliche Verbesserungen, die sie anzustreben vorgeben. Vielmehr produzieren sie weiterhin verantwortungslosen Leerlauf in Sachen Mobilitätsentwicklung in der Region Biel/Seeland.
Dabei könnte soviel erreicht werden, würde man nun endlich den Fokus entschieden auf die im Dialogprozess beschlossene Stossrichtung hin zu einer zukunftsfähigen Mobilität richten. – Die vorliegende Gesamtmobilitätsstudie bietet dafür eine optimale Grundlage. Und mit den 300 Millionen Franken, die der Kanton einst als Beitrag an den Bau der nun definitiv abgeschriebenen Westastautobahn zurückgestellt hatte, könnte diesbezüglich einiges in Gang gebracht werden.