ES GEHT UM MEHR ALS GELD

 

Stefan Graf ist Projektleiter beim Tiefbauamt des Kantons Bern, seit Jahren zuständig für den A5-Westast durch Biel. Er ist der richtige Mann am richtigen Ort. Für seine Chefin, die Berner Baudirektorin Barbara Egger, holt er regelmässig die Kohlen aus dem Feuer. Er vertritt sie an BürgerInnenversammlungen, trifft sich mit entnervten Hauseigentümern, wird nicht müde zu erklären, wie leid es ihm tue. Er hat für jeden ein gutes Wort. Erklärt geduldig – auch wenn er auf eine Frage keine Antwort weiss. Er bedauert, dass Häuser weg müssen, dass man das Maschinenmuseum Müller nicht schützen konnte, dass Menschen um ihr Daheim bangen. Und er versteht, wenn jemand Angst hat vor der drohenden Baustelle, der Enteignung, möglichen Kellerüberschwemmungen…

Stefan Graf ist aber nicht nur verständnisvoll, er verspricht sogar Abhilfe. Auch wenn man heute viele Details zur geplanten 15jährigen A5-Baustelle noch nicht kenne – man werde für alles eine Lösung finden, pflegt er zu beschwichtigen.

Die Frage, ob ihm die komplexe Grundwassersituation in Biel nicht manchmal Bauchschmerzen verursache, verneint er mit sanftem Lächeln: Man habe alles im Griff, lautet die Antwort. Die Ingenieure seien in der Lage, solche Herausforderungen zu bewältigen. Natürlich rechne man damit, dass es Komplikationen geben werde. Auch Kellerüberschwemmungen und Wasserschäden in bestehenden Liegenschaften, führt er weiter aus, um gleich anzufügen: «Selbstverständlich werden wir dafür aufkommen. Solche Posten sind schon im Budget drin.»

Was er nur am Rande erwähnt: Es ist davon auszugehen, dass nur jene Grundeigentümer für Schäden, die durch die Baustelle verursacht werden, eine finanzielle Abfindung erhalten, die im Rahmen des Einspracheverfahrens ihre Ansprüche in Form einer sogenannten Rechtsverwahrung angemeldet haben.

In der technokratischen Welt der behördlichen Bauherrschaft gibt es für jedes Problem einen Paragraphen – an den man sich zu halten hat. Und für jeden Schaden, jede Beeinträchtigung (sofern es in einem Paragraphen so vorgesehen ist) gibt es eine Entschädigung in finanzieller Form: Wenn an Häusern Risse entstehen würden und man nachweisen könne, dass diese durch die A5-Baustelle verursacht wurden, sei der Bauherr entschädigungspflichtig.  «Das geht zu unseren Lasten», fasst Graf zusammen und meint damit den Kanton. Oder, um es ganz präzis zu sagen: Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.

Man habe einen gewissen Handlungsspielraum, erläuterte Stefan Graf im SRF-Regionaljournal vom 23. Mai 2017: «Am Anfang werden wir zurückhaltend sein und zuerst die Einsprachen analysieren; und dann während dem Bau den Grad der Betroffenheit genau abklären und anschliessend sicherstellen, dass alle Geschädigten ihren Schaden ersetzt erhalten. Da werden alle zum Zug kommen, niemand muss Angst haben, dass die Kasse plötzlich leer ist und für ihn nichts übrig bleibt.»

© Anita Vozza

Was dabei völlig unter den Tisch gewischt wird: In Biel und entlang der geplanten Westast-Zerstörungsachse geht es um mehr als Geld. Zahlreiche Grundeigentümer wollen gar kein Geld – sondern ihre Liegenschaft behalten und erhalten. Klar will man einen guten Preis, wenn zum Schluss nichts mehr anderes übrig bleibt,  als zu verkaufen, weil der Staat die Macht hat, für den Bau der A5-Autobahn Privatbesitz zu enteignen. Doch kein Geld auf der Welt kann die Zerstörung des Gurnigelquartiers, des Museums Müller oder der denkmalgeschützten Gebäude an der Salzhausstrasse oder in der Seevorstadt aufwiegen.

Niemand erhält Entschädigung für den Stress während der 15jährigen Bauzeit mitten in der Stadt. Geld könnte da auch keine Abhilfe schaffen. Genauso wenig würde Geld all den Kindern und Jugendlichen nützen, die ohne Strandboden aufwachsen, deren Schule sich auf einer Baustelle befindet; Geld nützt den Amphibien und seltenen Pflanzen nichts, die vom Strassenbau beeinträchtigt werden, Geld hilft nicht gegen den Verlust von Heimatgefühl und Gesundheit.

Kurzum: Beim A5-Westast geht es um mehr als um Geld. Was hier auf dem Spiel steht, kann mit Geld niemals aufgewogen werden. Es geht um Lebensqualität, die nicht käuflich ist: Das Ambiente einer Stadt, gewachsene Quartiere, die alten Bäume, das Naturschutzgebiet Felseck…

Verantwortlich für den A5-Westast-Schlamassel sind die PolitikerInnen. Stefan Graf mache nur seinen Job, heisst es immer wieder. Doch für diesen Job kassiert Projektleiter Graf ein stolzes Gehalt. Die betroffene Bevölkerung hingegen, die von den Behörden seit Jahren mehr schlecht als recht informiert wird, muss sich in ihrer Freizeit mit der komplexen Materie herumzuschlagen.

Doch der Lohn, der winkt, wenn es uns gelingt, das drohende Betonmonster zu verhindern, ist ebenfalls nicht mit Geld aufzuwiegen: Eine menschenfreundliche, lebenswerte Stadt, wo die Bevölkerung gemeinsam nach zukunftsfähigen, nachhaltigen Lösungen sucht, abseits von gängigen A5-Trampelpfaden.

Text: © Gabriela Neuhaus

 


 

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