Soll keiner kommen und behaupten, die Behörden würden nicht auf die Bevölkerung eingehen! Vor Jahren schon haben sie dafür gesorgt, dass die einst heftig bekämpfte Südumfahrung von Biel plötzlich aus den Schlagzeilen verschwand – und an ihrer Stelle zwei verheissungsvolle Äste keimten.
Irgendwie war das auch richtig. Laut Duden versteht man unter «Umfahrung» nämlich eine «(Fernverkehrs)strasse, die um einen Ort(skern) herumgeführt wird». Davon kann in Biel keine Rede sein. Vielmehr durchsticht und zerschneidet die Autobahn den Ortskern. Doch das ging mit den beiden Ästen schnell einmal vergessen. Nicht zuletzt, weil die Stadtpolitiker die Zuversicht verbreiteten, mit den Autobahnästen würde die Bieler Verkehrspolitik endlich auf einen grünen Zweig kommen.
Der eine Ast – jener im Osten der Stadt – hat sich gut entwickelt und ist Meter um Meter gewachsen. Heute ist er fast fertig. Eindrückliche, überdimensionierte Betonlandschaften warten auf die Freigabe für den Verkehr. Erst ein kleines Teilstück ist offen. Dort sorgt eine Ampel für rote Köpfe: Sie produziert Stau, wo der Verkehr vorher problemlos floss…
Während der Ostast seinen Gärtnern Freude bereitet, kränkelte der Westast von Anfang an. Einmal wäre er fast eingegangen: Ein hässliches, riesengrosses Astloch in Form einer Autobahnschneise löste einen Sturm der Entrüstung aus. Erst als die Obergärtnerin aus Bern sich bereit erklärte, das knorrige Ding in einen stadtverträglichen Baum zu verwandeln, kehrte wieder Ruhe ein. Hilfsgärtner jeglicher Couleur waren eingeladen, bei den Optimierungsversuchen zu assistieren.
Das Resultat kann sich sehen lassen: Statt einem Astloch hat es nun deren zwei. Schlimme Wunden, die niemals verheilen, so die Diagnose renommierter Spezialisten. Dessen ungeachtet erhält der Westast 2014 den Segen des Bundesrats. Wörtlich heisst es: «Das generelle Projekt der Nationalstrasse N5 Umfahrung Biel Westast (…) wird mit veranschlagten Kosten von CHF 1.779 Mia. Genehmigt und zur Ausarbeitung des Ausführungsprojekts inklusive Umweltverträglichkeitsbericht 3. Stufe freigegeben.»
In aller Stille wird der Westast nun weiter gehegt und gepflegt. Bald soll er aus dem Gewächshaus und sich in der Stadt breitmachen. Um niemanden zu erschrecken, informieren die Obergärtnerin und ihr Team sehr zurückhaltend. Nur das Allernötigste wird auf der A5-Website des Kantons unter dem Stichwort «Westast» kommuniziert.
Die verheissungsvollen Aussichten auf eine verkehrsbefreite Stadt verfangen bei Vielen. Bis eine Gruppe von Baumkundlern die Dimensionen des geplanten Westasts und seiner Löcher vor Ort aufzeigt. Erschrecken macht sich breit: Astlöcher, so gross wie die Altstadt von Nidau… Immer lauter wird das Begehren: «Westast so nicht!».
Einmal mehr nehmen die Behörden die Bedenken der Bürgerinnen und Bürger ernst – und verwandeln den Westast flink zurück in eine Umfahrung. Jetzt heisst das Projekt plötzlich nicht mehr «Westast», sondern «Westumfahrung». Man setzt wohl darauf, dass man Umfahrungen – im Gegensatz zu Ästen – nicht absägen kann.