ANGSTMACHEREIWIDER BESSERES WISSEN

© TX Group 2024

Die Abstimmung über den 5‑Milliardenkredit für sechs Autobahnausbauprojekte ist zu einer Propagandaschlacht verkommen, bei dem die Ausbaubefürworter Grabenkämpfe und Ängste schüren, was das Zeug hält.

An vorderster Front Bundesrat Albert Rösti, der einstige Autolobbyist, der sein Amt als Bundesrat als logischen Karriereschritt im Dienste seiner früheren Auftraggeber versteht. Statt sachlich und unaufgeregt über die Vorlage zu informieren, legt er sich für den 5‑Milliardenkredit ins Zeug und scheut dabei auch vor Falschmeldungen und Verzerrungen nicht zurück.

Sekundiert wird er dabei in grossem Stil von den Leitmedien hierzulande: Kein Blatt, kein Sender, der ihm nicht eine Plattform für seine Propaganda geboten hat. Unwidersprochen wiederholt er immer wieder, der Autobahnbau sei in den 1960er Jahren stehen geblieben. Fakt ist jedoch, dass das Streckennetz seit 1995 um 30 Prozent verlängert worden ist.

Weiter behauptet er, mit den zur Debatte stehenden Projekten würde es eine kurzfristig wirksame Lösung für das vielbeklagte «Stauproblem» auf Schweizer Autobahnen geben. Er weiss aber ganz klar, dass da kurzfristig gar nichts gelöst wird, weil es rund 20 Jahre dauern würde, bis die Tunnel und Spurerweiterungen fertiggestellt wären. Kurzfristig gäbe es mit dem Auffahren der ersten Baumaschinen den berüchtigten Baustellenstau, also noch mehr Stau als bisher.

Schliesslich vergaloppiert sich Rösti mit den Aussagen, es brauche den Ausbau, damit unsere Strasseninfrastruktur nicht vergammelt, um den Verkehr aus den Dörfern zu entfernen und für mehr Sicherheit auf den Strassen… Alles Slogans, die von Verkehrsexpert:innen vielfach widerlegt wurden.

Und doch tobt der Abstimmungskampf praktisch ausschliesslich auf der von Rösti + Co vorgespurten emotionalen Fahrspur. Weil Journalistinnen und Journalisten sich von Rösti in seiner Bundesratslimousine chauffieren lassen und seine Sprüche weiterverbreiten, statt ihn mit Fakten zu konfrontieren.

Die aktuelle Abstimmungskampagne ist ein Lehrstück, wie Lobbyisten mit Macht und Geld die Demokratie für ihre Zwecke instrumentalisieren. Die Mitglieder des Komitees «Ja zur Sicherung der Nationalstrassen» haben sich ihre Desinformations-Strategie denn auch eine Stange Geld kosten lassen. Ein aktuelles Beispiel dafür ist einer der immer häufiger vorkommenden Publireportageartikel, die auf den ersten Blick vom redaktionellen Teil auf «Nau» kaum zu unterscheiden sind. Titel: «Weniger Verkehr in den Dörfern – das hilft allen» — reinste Pro-Autobahnausbau Propaganda.

Doch nicht nur das private Ja-Komitee rund um den Gewerbeverband + Co hat Geld in die Hand genommen. Eine ganze Brigade von Kommunikations-Agenturen profitiert regelmässig von lukrativen Staatsaufträgen. So hat das Bundesamt für Strassen (Astra) bei der Berner Agentur Infrakom AG für eine Viertelmillion Franken ein ganzes Kommunikationsarsenal  bestellt, um bei der Autobahnabstimmung die Gegnerschaft zu schlagen.

Im Klartext: Wir Bürgerinnen und Bürger finanzieren mit unseren Steuerfranken Agenturen mit, die versprechen, Rösti und dem Astra das gewünschte Abstimmungsresultat herbeizuzaubern. Es geht dabei in keinster Weise darum, Fakten zu vermitteln und  Pro und Contras aufzulisten. Offenbar trauen die Bundeshäusler diesbezüglich ihrem roten Abstimmungsbüchlein zu wenig.

Was Infrakom und Co praktizieren ist eine lupenreine Desinformationskampagne. Dies geht soweit, dass sogar fachlich fundierte Studien und wissenschaftliche Erkenntnisse, die nicht im Einklang mit den Interessen des Astra stehen, als Ideologie abgetan und unter den Tisch gekehrt werden. Daten, die unbequem sind, werden im Giftschrank zurückgehalten, bis nach der Abstimmung.

Das Strickmuster ist immer das Gleiche: Man hängt der Gegenseite die Ideologie-Etikette an. Wer sich gegen Autobahnausbau stellt, ist entweder ein Träumer, ewig-gestrig oder Autohasser:in. Auf alle Fälle: links-grün versifft.

So unterstellt etwa FDP-Nationalrat Thierry Burkhart im Blick-Interview vom 13. November 2024 der Grünen-Präsidentin Lisa Mazzone, wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte man schon vor 60 Jahren keine Autobahnen gebaut. Und wiederholt die Mär von der wundersamen Staubeseitigung.

Eine Mär, die bestens funktioniert, weil die Medien, von den Kommunikationsagenturen gefüttert, nicht einordnen und analysieren, wie es ihre Aufgabe wäre, sondern Verlautbarungen eins zu eins verbreiten.

Eine fatale Entwicklung. Die so weit geht, dass die Schaffhauser Nachrichten eine von der Stadtregierung in Auftrag gegebene Verkehrs-Studie infrage stellen, weil einige Expert:innen, die den Ausbau des Fäsenstaubtunnels kritisch bewerteten, einen Appell für die Ablehnung der eidgenössischen Autobahnvorlage unterschrieben haben.

Die Methode der Etikettierung funktioniert offenbar auch um nördlichsten Zipfel der Schweiz: «Gutachter outen sich als Autobahngegner» titeln die Schaffhauser Nachrichten marktschreierisch und brüsten sich damit, falsche, ideologiegetriebene Expert:innen aufgedeckt zu haben.

In Tat und Wahrheit decken sie jedoch zu. Argumente, die nicht erwünscht sind, werden einfach falsch etikettiert. Kolportiert wird schliesslich nur noch, was draufsteht, nicht mehr, was drin ist. So wie es die Kommunikationsagenturen empfehlen.

Wer, wenn nicht die Fachpersonen, die sich tagtäglich mit Mobilitätsfragen befassen, kann fundierte Aussagen darüber machen, wie sich der geplante Ausbau – in Schaffhausen und anderswo – auf das gesamte System und seine Umgebung auswirkt? Faktenbasiert, nicht ideologie-getrieben…

Endlich scheint aber doch Sand ins bislang gut geschmierte Autobahn-Propaganda-Getriebe gekommen zu sein: Die neusten Umfragewerte zeigen, dass die Argumente gegen die zur Debatte stehenden sechs Ausbauprojekte vom Stimmvolk doch gehört werden.

So blöd, wie es Rösti und Co. gerne hätten, ist der Souverän eben doch nicht. Diese Erfahrung haben wir in der Vergangenheit bereits mehrfach gemacht.

BEHAUTPUNGEN, VERDREHUNGEN UND UNWAHRHEITEN

Im Abstimmungskampf um die Autobahnmilliarden ziehen die Autoabhängigen alle Register. Die Palette reicht von falschen Behauptungen über unhaltbare Vergleiche bis zur Missachtung wissenschaftlicher Fakten.

Tatkräftig unterstützt einmal mehr von den Leit-Medien in unserem Land. Nicht nur die Arena-Sendung von SRF zeigte beängstigend Schlagseite Richtung Autobahnausbau – auch die Sonntagspresse bläst ins gleiche Horn. Dabei wäre es journalistische Pflicht, die Behauptungen und Scheinargumente der Befürworterschaft auf ihren Wahrheitsgehalt zu untersuchen:

So behaupten Bundesrat Rösti und Co unverdrossen, die Investitionen in den Ausbau der Autobahnen hätten in den letzten 30 Jahren stagniert. Ein Blick in die Zahlen des Bundesamts für Statistik macht deutlich: Falsch. Stimmt nicht!

In den letzten 30 Jahren wurde nämlich kräftig am Schweizer Nationalstrassennetz weitergebaut: Heute haben wir in der Schweiz insgesamt 1549 Kilometer Autobahn. Das sind über 350 Kilometer mehr als noch 1995 – im Klartext: Eine Zunahme von fast 30 Prozent (entspricht der Strecke St. Gallen-Genf). Hinzu kommen all die Spurerweiterungen vom Grauholz bis zur dritten Röhre am Baregg und am Gubrist sowie der Neu- und Ausbau von Autobahnanschlüssen.

Ein weiterer Punkt, den die Promotoren des 5‑Milliardenkredits absichtlich unterschlagen: Die sechs Ausbauprojekte, über die wir am 24. November abstimmen, sind nur ein Teil einer viel umfassenderen, teils bereits laufenden Kapazitätserweiterung. So wird ab Frühjahr 2025 im Kanton Solothurn die A1 auf einer Strecke von 22 Kilometern – zwischen Luterbach und Härkingen – von heute vier auf sechs Spuren ausgebaut. Die Vorarbeiten sind bereits im Gang. Budgetierte Baukosten: 1,06 Milliarden Franken.

Auf der Website des ASTRA finden sich weitere Ausbauprojekte, die separat aufgegleist werden. So etwa die umstrittene Erweiterung der A1 zwischen der Verzweigung Birrfeld und Aarau Ost auf sechs Spuren – Länge 14 Kilometer, Kosten rund 770 Millionen Franken.

Mit anderen Worten: An unseren Nationalstrassen wird auch nach abgelehnter Autobahnvorlage munter weitergebaut. Allerdings ist zu bedenken, dass damit die jährlichen Unterhaltskosten weiter steigen. Je mehr Strassenfläche wir haben, desto teurer wird es, diese instand zu halten. Dies gilt ganz besonders für die Tunnel, deren Betrieb und Unterhalt beträchtliche Kosten (und Stau während der Renovierung) verursacht.

Fakt ist: Kapazitätserweiterungen führen erfahrungsgemäss zu mehr Verkehr, bis es wieder irgendwo von neuem staut. «Freie Fahrt für freie Bürger» à discretion endet so zwangsläufig im Stau – insbesondere während den Spitzenzeiten, wenn alle zur gleichen Zeit pendeln und freizeitverkehren.

Das Internetportal Mobimag nennt dazu ein frappantes aktuelles Beispiel: Auf der Nordumfahrung Zürich, wo die Autobahn zwischen Zürich-Affoltern und der Verzweigung Zürich Nord in beide Richtungen von zwei auf drei Spuren erweitert wurde, hat der Verkehr massiv zugenommen. Die Gemeindestrassen wurden dadurch nur teilweise entlastet – auf eingen nahm der Verkehr sogar deutlich zu. «Von einer grossflächigen Entlastung durch den Ausbau der Autobahn kann keine Rede sein», ist Fakt und belegbar.

Schliesslich werden, um die Ausbaupläne zu rechtfertigen, durch Stau verursachte volkswirtschaftliche Verluste in Milliardenhöhe herbeigerechnet. Allerdings basiert die angebliche Zahl der sogenannten Staustunden wie auch der dadurch «verlorenen Zeit» auf ziemlich wackeligen Annahmen und Hochrechnungen. Wenn sogenannte Ökonomen das Ganze dann noch in verlorene Schweizer Franken umrechnen, landet man endgültig im Märchenland.

So lautet die Definition von Stau auf der Autobahn beim ASTRA: «Wenn auf Hochleistungsstrassen oder Hauptstrassen ausserorts die stark reduzierte Fahrzeuggeschwindigkeit während mindestens einer Minute unter 10 km/h liegt und es häufig zum Stillstand kommt.»

Wie genau das vague umschriebene Phänomen Stau gemessen und zu Staustunden zusammengerechnet wird, ist ziemlich abenteuerlich.

Tatsache jedoch ist, dass die tatsächliche Zunahme von Staus in den letzten Jahren längst nicht so dramatisch war, wie die Ausbaubefürworter behaupten.

«Es ist davon auszugehen», ist auf der Webseite des Bundesamts für Statistik nachzulesen, «dass ein Teil der zusätzlich gemessenen Staustunden auf eine verbesserte Erfassung des Verkehrsgeschehens zurückzuführen ist.» Dies, weil das ASTRA während Monaten nicht in der Lage war, zuverlässig funktionierende Messgeräte zu installieren und zu betreiben (siehe Jahresbericht ASTRA 2018).

«Täglich werden die auf Stunden aggregierten Verkehrswerte 
von den Zählstellen zur zentralen Verkehrsdatenbank VMON 
des ASTRA übertragen. Dort werden die Daten plausibilisiert 
und daraus abgeleitete Kennzahlen publiziert. 
(www.verkehrsdaten.ch).»   Quelle: Rosenthal und Partner AG

All diese Fakten finden in den Mainstream-Medien kaum Beachtung. Stattdessen erhält Bundesrat Rösti in der NZZ vom Montag, 4. November eine weitere ganzseitige Plattform für seine Autobahnwerbung. Bei der Lektüre fragt sich die informierte Leserin: Kann Rösti eigentlich nicht rechnen?

Und der BLICK versucht’s noch einmal mit Emotionen: Er begleitet eine LKW-Chauffeurin auf ihrer (ärgerlicherweise weitgehend) staufreien Fahrt von Altishofen nach Vevey, wo sie ihre Ware pünktlich abliefert. – Das gleiche «Problem» hatte vor einer Woche bereits das Reportageteam der Rundschau, das ebenfalls einen Chauffeur begleitete, ohne einem Stau zu begegnen…

Also werden die Stauerlebnisse bloss geschildert. Sie sei schon bis zu zwei Stunden im Stau gestanden, erzählt die Chauffeurin dem Blick. Wie oft das vorkommt, wird in der Zeitung allerdings nicht erwähnt. Zudem nutzt die kluge Frau ihre Zeit unterwegs «um Musik zu hören, mit Freunden zu telefonieren oder Sprachen zu lernen.»

Verlorene Zeit? 

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