Der Kanton Bern markiert ein nationales Bauwerk – mit Farbtupfern
Seit einer Woche sind die Pläne für die A4 Westast-Autobahn öffentlich.
Zur öffentlichen Auflage gehört auch, dass das Projekt im Gelände ausgesteckt ist. Man kennt das: Für jedes Gartenhäuschen, für jeden Velounterstand, der von Privaten geplant wird, braucht es Bauprofile, damit die Nachbarn abschätzen können, was auf sie zukommt.
Nicht so beim 2,2 Milliarden teuren Autobahnprojekt in Biel!
Wer erwartet hat, auch nur andeutungsweise den Verlauf der künftigen Fahrspuren, die Breite der Fahrbahn oder das Ausmass der Baustellen anhand der Aussteckungsprofile zu erfahren, wird vor den Kopf gestossen: Wir haben uns die Mühe genommen und einen Nachmittag lang die Planungszone abgeschritten, in der Meinung, man könne sich aufgrund von gut sichtbaren Profilen ein Bild über den Verlauf und die Dimensionen des geplanten Halbanschlusses Biel City machen. Aber nichts da. Was hier im Gelände präsentiert wird, ist ein demokratisch unwürdiges Versteckspiel, was die Behörden ausgeheckt, aber nicht ausgesteckt haben..
Ohne Aussteckungsplan auf dem iPad wären wir völlig verloren gewesen. Denn von markanten, gut beschrifteten Bauprofilen im Gelände keine Spur.
Immerhin sind die verschiedenen Punkte auf dem Plan durchnummeriert. Es sollte also ein Leichtes sein, die entsprechenden Kanthölzer mit den farbigen Köpfen, wie wir sie schon an verschiedenen Stellen in unserer Nachbarschaft entdeckt hatten, auch hier ausfindig zu machen.
Doch schon bei der roten Nummer 1 kommen wir ins Schwitzen: Kein Holzpflock weit und breit. Ob der rote Tupfer an der Baumrinde als Aussteckungsprofil durchgeht? Zwei Bäume weiter, aber nicht auf dem Plan vermerkt, ein gleichartiger roter Farbtupfer. Keine amtliche Bezeichnung, kein Vermerk. Was ist nun was, wenn überhaupt? Wir sind uns nicht sicher, suchen weiter. Auch die Nummer zwei ist nicht zu finden. Dort, wo wir aufgrund des Plans einen Holzpflock vermutet hätten, ist auf dem Gehweg ein roter Farbklecks aufgemalt, in dumpfem, bereits verblichenem Braunrot. Die Message der Baudirektion ist klar: Ja nicht auffallen, ja nicht von weitem gesehen werden, die Leute zum Narren halten.
Schnell begreifen wir, dass wir unseren Blick schärfen müssen. Und entdecken Punkt um Punkt sowie Pfosten um Pfosten, wie erfindungsreich, inkohärent und unglaublich diskret man diese Autobahn ausgesteckt hat. Völlig unmöglich, sich ein objektives Bild des Bauprojekts zu machen. Ein Gericht oder mehrere Instanzen werden sich äussern müssen, ob diese Art «Information» im 21. Jahrhundert noch genügt. Wahrscheinlich hat man passend zum Autobahnprojekt den Minimal-Informationsstandard aus den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts übernommen.
Weil es der breiten Bevölkerung nicht zuzumuten ist, im Bieler Unterholz herumzuirren, präsentieren wir hier in loser Folge die Markierungen des Berner Amtsbärs auf Bieler Boden.
©Text: Gabriela Neuhaus
Fotodokumente aus der laufenden Planauflage:
Markierung Nummer 87:
Wer sucht der findet.
Unter GALERIE ist die offizielle Markierung mit einem Pfeil hervorgehoben.
Der kantonalbernische Projektleiter erklärt im Anschluss an die Info-Veranstaltung in Twann allen Ernstes, eine solche Aussteckungs-Markierung sei rechtsgenügend. Das wird mit Bestimmtheit ein Gericht – auf Antrag vieler Einsprecher – absegnen oder, wahrscheinlicher, rügen müssen. Letzteres bringt wertvollen Zeitgewinn zum Nachdenken: die Planauflage müsste wiederholt werden!
Markierung Nummer 214:
Also, liebe Rätselfreunde- und freundinnen, kriecht unter die Auto-Stossstange und sucht den Punkt. Dieser Farbklecks bezeichnet (zusammen mit drei weiteren, nicht ganz einfach zu findenden Markierungen) die Eckpunkte des Abschnitts Krautkuchen (eine über 200 Meter lange, offene Autobahnschneise beim Halbanschluss Seevorstadt). Die Ausrede, weshalb hier kein gut sichtbares Profilholz steht, wird zurzeit in den Berner Amtsstuben mit Hochdruck entwickelt.